Das Mädchen und der Zauberer
spürte, wie sie zitterte. »Sei nicht so vertrauensselig. Sei nicht so sinnlos mutig. Josephine ist gefährlich. Die Menschen hier haben die Eigenschaft, im Haß unmenschlich zu werden.«
Es wurde eine lange, schlaflose Nacht; erst gegen Morgen schlief Petra ein, kuschelte sich wie schutzsuchend eng an René, und er spürte, wie ihre Nerven vibrierten und ihr Mut, ihre zur Schau getragene Furchtlosigkeit nur eine Lüge waren.
Coulbet muß etwas tun, dachte René verbissen und drückte die schlafende Petra fest an sich. Er kann und darf nicht warten, bis etwas geschieht! Warum verhaftet er nicht diesen Onkel Jules?
In jener einsamen Stunde beschloß René Birot, sich selbst aktiver einzuschalten und zu Jules Totagan zu fahren. Nicht mehr verteidigen, dachte er, nein, angreifen! Zuerst zuschlagen! Schneller und stärker sein als dieser verdammte Voodoo-Zauber!
Es war der Augenblick, in dem sich René klar wurde, daß er bereit war, als letzte Konsequenz zu töten.
In der Abteilung II c der Kriminalpolizei von Martinique war das große Staunen ausgebrochen. Daß man dem Ozeanbummler Bataille samt seiner ungeheuren Sexy-Frau Marie Lupuse nicht traute, war nach einer Überprüfung aller Häfen, die er mit seiner Yacht Carina II angelaufen war, selbstverständlich geworden.
Sowohl die britischen wie die amerikanischen Behörden, die Niederländer und auch die selbständig gewordenen Inselregierungen notierten nach der Weiterfahrt von Bataille auf ihren karibischen Paradiesen ein sprunghaftes Ansteigen des in den letzten Jahren immer kritischer werdenden Rauschgiftproblems. Es tauchten in den Bars und Nachtclubs, ja selbst in den renommierten Hotels und am Strand Heroin und Kokain auf, und die kleinen Dealer, die man faßte, allesamt hundsarme Kerle aus den Slums, die für ein Handgeld die Ware anboten, schwiegen eisern, aus begründeter Angst. Der Fall James Reeder auf St. Croix verbreitete sich über alle karibischen Inseln, als fiele Feuer vom Himmel: James, ein Mulatte, hatte es sich im Gefängnis von Christiansted, der Hauptstadt von St. Croix, die man die schönste Kleinstadt Westindiens nennt und deren Altstadt in ihrer Gesamtheit unter Denkmalschutz steht, anders überlegt und hatte kundgetan, daß er bei Straffreiheit aussagen wolle. Am nächsten Vormittag sollte er vom Staatsanwalt persönlich verhört werden. Am frühen Morgen lag er erwürgt in seiner Zelle, und niemand konnte das Geheimnis lösen, wie man einen Gefangenen in einer verschlossenen Einzelzelle töten konnte. Der Gouverneur von St. Croix erklärte das Phänomen nur mit der Feststellung. »Wir haben es hier mit der Mafia zu tun!« Das war etwas wie eine Kapitulationserklärung.
In Martinique hatte man die Berichte der einzelnen Inseln, die Bataille angelaufen war, zusammengestellt. Sie ergaben eine erdrückende Indizienkette, aber eben auch nur Indizien! Sie reichten nicht aus, die Carina II zu beschlagnahmen und auseinanderzunehmen. Man konnte Roger Bataille nur beobachten und geduldig warten, bis er sich eine Blöße gab oder einen Fehler beging. Vor allem war man gespannt, wohin Bataille von Martinique aus fahren würde; wenn auf dieser nächsten Insel dann auch Heroin in größeren Mengen auftauchte, konnte niemand mehr an einen Zufall glauben.
Nun aber wurden die Behörden unsicher. Bataille war im Restaurant Le Joséphine mit dem Comte de Massenais in Verbindung getreten, und das paßte nun gar nicht in das Bild, das sich die Polizei von Martinique mittlerweile von Bataille gemacht hatte. Der Graf war einer der letzten Grandseigneurs der Insel, unbescholten wie die Justitia selbst, wohlhabend und geachtet, Reeder bekannter Schiffe, ein wenig exaltiert, aber jeder Mensch hat ja so seinen persönlichen Tick, und wenn der Comte de Massenais mit seinem goldenen Lorgnon herumlief und sich kleidete wie ein Dandy, dann war das eben seine ureigene Note, über die man still hinweglächelte. Massenais war Mitglied aller exklusiven Clubs auf Martinique und Guadeloupe, gehörte sogar irgendeinem Ritterorden an, dessen Mitglieder an Feiertagen, wie etwa an Fronleichnam oder während des Osterfestgottesdienstes, in weißen, wallenden Ritterumhängen mit einem stilisierten violetten Kreuz auf dem Rücken herumliefen, ein breites Schwert in einer ziselierten Silberscheide umgegürtet. Kurzum, de Massenais mit möglichen dunklen Geschäften Batailles in Zusammenhang zu bringen, war völlig absurd.
Und doch schien es so, trotz des Stolpern des Grafen
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