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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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schließlich hinauf zu den Göttern und von dort … Natürlich bauten wir in unsere Geschichten allerlei Erlebnisse aus dem Dorf ein, vermischt mit alten Mythen, die wir am Lagerfeuer aufgeschnappt hatten. Da wir beide eine blühende Phantasie hatten und keine zuerst aufgeben wollte, zogen sich manche Geschichten mehrere Tage lang hin.

    Antonia und Sylvia vor ihrer Kochhütte
     
    Koi hatte unbändigen Spaß daran, sich mit mir zu messen. Als gleichaltrige Patin war sie Freundin, Rivalin und Ebenbürtige zugleich. Auf diese Weise sollten Kinder lernen, auch mit Konkurrenzsituationen klarzukommen. Besonders für Aparai-Mädchen war das wichtig, weil sie später vielleicht einmal mit der Zweitfrau ihres Gatten zusammenleben mussten, ohne sich gegenseitig umzubringen. Koi und ich waren wie Pat und Patachon. Wir spielten, wir stritten, und wir vertrugen uns wieder. Kein Streich, der nicht mit einem Gegenstreich beantwortet wurde. Während Koi beim Wasserholen »a us Versehen« mit ihrem Fuß gegen meinen Aluminiumkessel stieß und ich vom Ufer aus zusehen musste, wie er in der Strömung den Fluss hinunterschaukelte, entführte ich bei nächster Gelegenheit Kois Lendenschurz, während sie beim Baden war. Für eine Aparai war es hochpeinlich, ab dem fünften Lebensjahr ohne Lendenschurz herumzulaufen. So etwas schickte sich nicht. Nur bei ganz kleinen Kindern war es egal, wenn sie splitternackt waren. Während Koi jammernd vor mir stand und mit gekreuzten Händen ihre Scham bedeckte, quälte ich sie mit gespielter Vergesslichkeit. Erst als sie ihre Tat aufrichtig bedauerte – ein Aluminiumkessel war schließlich unendlich wertvoll, er zerbrach nicht so schnell wie die Tonschalen und konnte nicht reißen wie die Kalebassen –, erinnerte ich mich plötzlich wieder daran, wo das Wäju geblieben war. »I ch mache so was auch nie wieder«, versprach sie. Und gab sogar zu: »I ch hab extra dagegengetreten, weil ich keinen so schönen Kessel habe.«
    Gemeinsam rannten wir zu Malinas Kochhütte; dort hatte ich Kois Lendenschurz in einen hohen Strauch geworfen. Tante Malina, Kois Mutter, erwartete uns bereits kopfschüttelnd, das Wäju in der Hand. »W ie ist das denn da hinaufgekommen?« Unsere Lippen blieben versiegelt. Petzen ging gar nicht. Genauso wenig, wie nachtragend zu sein.
    Beim nächsten Aufenthalt in der Kolonialstadt Belém bettelte ich so lange herum, bis meine Eltern auf dem Markt am Hafen zwei kleine Aluminiumkessel kauften. Einen für Koi und einen für mich. Kois Mutter und Antonia waren sich einig: Wir beide gehörten zusammen – und sollten uns schön aneinander abarbeiten.
    Sylvia war über unsere Kindereien erhaben. Wenn ich mich mit Koi und Mikulu zum Baden aufmachte, blieb Sylvia meist winkend zurück und half stattdessen Großmutter Antonia beim Kochen oder fegte den staubigen Erdboden der Hütte mit einem Büschel aus Palmwedeln. Kaum war ich pitschnass wieder zurück, reichte mir Sylvia eine Schale mit scharfer Trinkbrühe, dann drückte mir Antonia ein Stückchen dampfendes Fleisch in die Hand. »A ber nur zum Probieren, das Essen ist noch nicht fertig.« Bis dahin sorgte meine Patenschwester erst mal dafür, dass ich wieder »o rdentlich« aussah. Mit gespreizten Fingern fuhr sie mir durchs nasse Haar, das – anders als ihre dicken, schwarz glänzenden Aparai-Haare – leicht verfilzte. Aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit in den Tropen hatte ich hin und wieder sogar Stockflecken im Haar, sehr zum Missfallen meiner Wahlfamilie: »S chipölö nümölo, wie hässlich«, rief Araiba einmal aus. Doch als er die giftigen Blicke von Antonia und Sylvia bemerkte, fügte er schnell hinzu: »A ber du bist natürlich trotzdem so schön wie die Sonne!«
    Ich schämte mich für die dunklen Flecken auf meinen blonden Haaren und ließ deshalb die Prozedur der Fingerkämmerei klaglos über mich ergehen, auch wenn es ziepte. Um mich abzulenken, erkundigte sich Antonia nach unserem Bad: »W ar der Fluss schön klar? Keine Piranhas in Sicht?« Ich verneinte und erzählte, dass uns die großen Jungs mal wieder geärgert hatten. Während wir in aller Ruhe wie schwimmende Baumstämme auf dem Rücken liegend die Libellen bei ihren luftigen Tänzen beobachteten, klatschten die anderen plötzlich ohne Vorwarnung und laut johlend mit einer Arschbombe zwischen uns ins Wasser. Das Wort »Arschbombe« kennen die Aparai nicht, aber es würde ihnen gefallen, weil es passt.
    »M an darf die Männer überhaupt nie allzu ernst

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