Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
Lichtung. Anschließend wusste jeder Bescheid.
Rückkehr von der Jagd – Chico mit reicher Beute
Am späten Nachmittag oder frühen Abend kehrten die Männer von der Jagd zurück. Manchmal mit reicher Beute beladen, ein anderes Mal reichte es kaum, um alle satt zu bekommen. Erwartungsvoll hockten wir auf den Felsen oberhalb des Naturhafens von Mashipurimo. Von dort aus hatten wir einen grandiosen Blick über die gesamte Bucht. Wer zuerst ein nahendes Boot entdeckte, brach in lautes Rufen aus. Unser Freund Mikulu stand derart unter Spannung, dass er mehrfach Fehlalarm schlug. Er hielt sich für einen besonders guten Späher, worüber Koi und ich unsere Witze machten. Zunächst hielt Adlerauge Mikulu eine schwebende Mücke für ein weit entferntes Boot, danach den Rücken eines Tapirs und am Ende, als er tatsächlich den ersten Einbaum auf dem silbrigen Fluss erspähte, wollten wir ihm nicht mehr glauben. Als das Boot endlich näher kam, erkannten wir Inaina, der uns von Weitem zuwinkte. Er freute sich über das kleine Empfangskomitee. Hinter ihm im Boot stand Chico, Häuptling Kulapalewas erwachsener Sohn und Kois großer Bruder. Er strahlte mit Inaina um die Wette. Sicher hatten die beiden einen guten Fang gemacht.
Nacheinander steuerten die Boote zwischen den Felsen hindurch in unsere Bucht. Bei Niedrigwasser war das eine tückische Angelegenheit, ein Einbaum verzeiht kein Leck. In solchen Fällen behalfen sich die Männer mit Ruderstangen, mit deren Hilfe sie in den Booten stehend den gefährlichen Grund vorsichtig abtasteten.
In schillernden Farben malten wir uns aus, was die Jäger wohl heute an Beute ins Dorf bringen würden. »E inen riesengroßen, fetten Tapir wette ich«, sagte Mikulu. Dabei streckte er die Arme so weit auseinander, wie er konnte. Tatsächlich lag eines der Boote so tief im Wasser, dass er möglicherweise Recht hatte. Doch noch bevor wir sehen konnten, was sich unter der Plane im Bootsrumpf befand, wurden wir wie lästige Fliegen verscheucht. »S chuuuh, schuuh, macht, dass ihr wegkommt«, rief Pulupulu, Großmutter Schildkröte. Wenn sich die Frauen des Dorfes ans Ausweiden der Jagdbeute machten, waren Kinder nicht erwünscht.
Nach einem ausgiebigen Bad im Fluss kümmerten sich die heimgekehrten Jäger um die allerkleinsten Kinder, die ihnen von den Frauen kurzerhand in die Arme gedrückt wurden. Trageschlingen wechselten ihre Besitzer, ein kurzer Schwatz über die Neuigkeiten des Tages, dann zogen sich die Väter mit den Babys ins Dorf zurück. Junge Männer wie Inaina, die noch keine eigenen Kinder hatten, mussten selbstverständlich bleiben, um beim Ausnehmen und Zerlegen der Beute zu helfen.
»W enn ich endlich mit auf die Jagd darf, werde ich so viel Fleisch zurückbringen, dass uns allen die Bäuche platzen!«, prahlte Mikulu auf dem Rückweg ins Oberdorf.
»D a musst du aber noch viele Mondwechsel warten, bis es so weit ist«, bremste Koi ihn in seiner Euphorie. Die Aparai-Jungen wurden frühestens ab dem achten Lebensjahr von den Männern zur Jagd mitgenommen. Schließlich mussten sie nicht nur gut schießen können, sondern auch weite Strecken durch den Urwald zurücklegen. Ganz zu schweigen von dem beachtlichen Gewicht, das es über Stunden zu schleppen galt. Ein ausgewachsener Tapir, der zwischen 150 und 320 Kilo wiegen kann, brachte selbst gestandene Jäger ins Schwitzen. An Land eher schwerfällig und nur während der Nacht aktiv, verwandeln sich die plumpen Rüsseltiere im Wasser in ausgezeichnete Schwimmer. Und wenn unsere Jäger auf sie zielten, legten sie sogar beeindruckende Tauchfähigkeiten an den Tag.
Dank der Schrotflinten war die Ausbeute der Jagd in den vergangenen Monaten mehr oder weniger konstant gewesen. Nur in der Trockenzeit, wenn die Wälder in der Umgebung arm an Beute und die Flüsse überfischt waren, wurden die Baumwollgürtel in Mashipurimo wieder enger gebunden. Wenn es zum Frühstück Piranhas gab, war klar, dass die unfreiwillige Fastenzeit ihren Höhepunkt erreicht hatte. In Deutschland gibt es das geflügelte Wort: »I n der Not frisst der Teufel Fliegen.« Bei den Aparai hieß es: »I n der Not isst man sogar Aasfresser.« Piranhas stürzen sich mit Vorliebe auf das verweste Fleisch kranker oder toter Tiere im Fluss. Bei den Aparai gilt der Fisch deshalb als minderwertig, als »S chwarzbrotkost«.
Doch nach der erfolgreichen Jagd des Tages freuten wir uns erst einmal auf Alimi. Das fette Fleisch der Klammeraffen gehörte definitiv zu
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