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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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an die klapperdürren Dorfhunde, die Kaikuschis, verfütterte, war allerdings weniger lustig. Denn frisches Wöi war kostbar. Allein seine Zubereitung war ein Heidenaufwand. Und nun hatte Koi mit der beiläufigen Bemerkung: »W o Katarischi doch sooo gerne frisch gebackenes Wöi mag …«, mir geschickt den Schwarzen Peter zugeschoben. Zwar würde niemand mit mir schimpfen, doch allein der Gedanken, die anderen könnten mich verdächtigen, trieb mir die Tränen in die Augen. Ich beschloss, sie für ein paar Tage wie Luft zu behandeln. Schmollend lief ich zu Antonia. So laut sie manchmal auch zetern mochte, Antonia war die allerbeste Trösterin von ganz Mashipurimo. Ich legte meinen Kopf in ihren Schoß und ließ mir den Nacken kraulen. »O oooh, Katarischi, nicht traurig sein, morgen vertragt ihr euch wieder.«

    Koi am Rio Paru
     
    »G enau, nimm dir ein Beispiel an uns. Wir sind auch nicht immer einer Meinung, aber wir sind noch nie im Streit auseinandergegangen«, ergänzte Araiba.
    Obwohl mich Koi in so manche Sache hineingeritten hat, wusste ich doch, dass sie im Ernstfall für mich durchs Feuer gegangen wäre. Wenn ich mit meinen Eltern ein Lufttaxi bestieg, um für ein paar Tage in die Stadt zu fliegen, war Koi so geknickt, dass sie kaum essen mochte. Während ich mich für kurze Zeit in ein Stadtmädchen verwandelte und ein richtiges Kleid und feste Sandalen überstreifte, stromerte sie missmutig allein durch Mashipurimo. »S ie wäre fast verhungert, wenn du nicht zurückgekommen wärst«, verriet mir Mikulu eines Tages, nachdem Koi und ich uns mal wieder gekabbelt hatten. »S ie hat dich sehr vermisst!« Ohne Koi wäre meine Zeit in Mashipurimo nur halb so erfüllt gewesen.

Inaina spielt auf einer Knochenflöte
     

Von Mutproben und Martermatten
     
    Bereits in der Morgendämmerung brachen die Männer zur Jagd und zum Fischfang auf. Fast lautlos versammelten sie sich am Flussufer, wo sie ihre Boote mit Schrotflinten, Pfeilen und Netzen beluden. Der Letzte, in der Regel Sylvias großer Bruder Inaina, musste an Land bleiben, um den Einbäumen einen gezielten Stoß zu verpassen, bis sich das Heck schwerfällig und mit kratzendem Geräusch vom Ufersand löste. Bevor die Strömung die Boote erfasste, sprang er in letzter Sekunde an Bord.
    Drei, vier, fünf Stechpaddel tauchten synchron in das Dunkel des noch kühlen Wassers ein, während sich die Konturen der dahingleitenden Einbäume für die am Ufer Zurückgebliebenen wie Figuren eines Schattentheaters von dem pastellfarbenen Sonnenaufgang absetzten. Junge Mädchen winkten verstohlen vom Ufer aus ihren künftigen Männern nach und nutzten, nachdem die Boote verschwunden waren, die friedliche Stille für ein Bad im Paru. Altgediente Ehefrauen hatten für so etwas keine Zeit. Auf sie warteten hungrige Kindermägen und Feuerstellen, die für die erste Mahlzeit geschürt werden mussten.
    Wenig später bewegten sich sämtliche Dorfbewohner in Richtung Fluss. Die Frauen schöpften frisches Koch- und Trinkwasser in runde Kalebassen oder Aluminiumkessel; erst wenn sie damit fertig waren, durften die Kinder ins Wasser springen. Prustend verrichteten wir unsere Morgentoilette. Gegenseitiges Unterwassertauchen und Wettkraulen gehörten dazu. Die Aparai schwimmen nicht Zug um Zug, sondern paddeln eher in der Art von Hunden. Eine Schwimmtechnik, mit der man es einigermaßen schafft, sich eine Zeit lang über Wasser zu halten, die dafür aber auch schon Kinder beherrschen. Die älteren Bewohner von Mashipurimo kamen gemächlich nach. Ein Begrüßungsschwätzchen hier, ein aufmunternder Morgengruß dort, dann hockten sie sich auf die Uferfelsen, wo sie sich in aller Ruhe die Ohren auswuschen, die Zehennägel mit Gräten reinigten oder die Zähne mit spitzen Stöckchen blank polierten. Die meisten besaßen inzwischen sogar eine Zahnbürste. Wer ins Wasser ging, bedeckte sein Geschlecht mit beiden Händen. Die Lendenschurze und Lätze hingen unterdessen wie leuchtende Fahnen im Geäst der Sträucher, während die Sonnenstrahlen unaufhaltsam durch den Frühnebel brachen, bis sie unser Flussdorf in goldgelbes Licht tauchten. Im Hintergrund hörte man das gleichmäßige Tosen der Stromschnelle. Wenn sich Aparai-Wajana oder Tirio aus der Umgebung nach der genauen Lage unseres Dorfes erkundigten, gaben wir ihnen folgende Beschreibung: an der ganz großen Stromschnelle des Iipömönö – so heißt der Paru auf Aparai –, oberhalb der zweiten Savanne, einer weitläufigen

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