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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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Einfluss zu schützen versuchte.
    Als meine Eltern später am Tag in Aldeia Bona von Aparai-Wajana-Familie zu Aparai-Wajana-Familie herumgereicht wurden, folgte ich einer kleinen Gruppe von Aparai-Kindern zu einer Bucht etwas weiter flussabwärts. Sie war kleiner als die vertraute Badestelle von Bona und lag nur unweit vom Haus der Missionarsfamilie entfernt. Nie zuvor war ich an einer Stelle gewesen, die derart weit vom Dorfkern entfernt war. Die Kinder duckten sich hinter dem Ufergestrüpp, und ich tat es ihnen nach. Ein größerer Junge bedeutete uns, keinen Mucks zu machen. Endlich erspähten wir die Missionare in einiger Entfernung. Vorsichtig liefen sie den Hang hinab, ihre Handtücher hatten sie wie Schals um ihre Hälse gelegt.
    Die Missionarsfrau trug ein blassgelbes, beinahe knöchellanges Kleid, das sehr elegant aussah, doch im Urwald eine recht ungewöhnliche Aufmachung war. Zumal es sich nicht etwa um einen Sonntagsausflug handelte, sondern sozusagen um einen Besuch im Schwimmbad. Als sie endlich den Fluss erreichten und die beiden Jungs ungestüm ins Wasser spurteten, zog die Missionarsfrau das Kleid nicht etwa aus, sondern stieg damit ins Wasser. Nur ihre Sandalen blieben am Uferrand zurück. Der gelbe Stoff schwebte wie eine Schwefelwolke im Wasser hinter ihr her. Auf einmal wurde mir klar, weshalb ich sie noch nie an der Badestelle der Aparai angetroffen hatte. Wer ganz und gar bekleidet baden ging, dem war die Nacktheit der Menschen am Amazonas offenbar unangenehm. Später erfuhr ich, dass fromme Christen die Barbusigkeit der Indianerinnen als sündhaft geißelten, was mich auch heute noch maßlos ärgert. Denn die sündigen Gedanken beim Anblick der Aparai dürften wohl eher in den Köpfen der westlichen Betrachter herumgespukt haben. Kein Indianer hätte sich je etwas dabei gedacht.
    Als die Missionarsfrau wieder aus dem Wasser stieg, klebte das gelbe Kleid durchsichtig an ihrem blassen Körper. Wie eine zweite Haut, die nur wenig verhüllte. Wir konnten uns ein Kichern nicht verkneifen, einer der Jungen hielt sich sogar seine Hand vor den Mund, doch das half nichts, er prustete laut los. So laut, dass sämtliche Köpfe der Missionarsfamilie herumfuhren. Minutenlang blickten sie unsicher umher, doch zum Glück entdeckten sie uns nicht. Die Frau scheuchte ihre Kinder nun eilig vor sich her zurück zu ihrer Hütte. Wir waren uns einig: Die benahmen sich wirklich merkwürdig, diese Kräntis, wie die Aparai Christen nannten.
    Als ich Antonia und Araiba einige Tage später von dem seltsamen Bad der Missionarsfrau im Fluss erzählte, schüttelten sie verwundert den Kopf. Diese Art von Prüderie ging selbst toleranten Menschen wie ihnen zu weit. Und natürlich ahnten wir damals noch nicht, dass jene verklemmte Moralvorstellung eines Tages auch das Leben der Aparai maßgeblich mitbestimmen würde. Vor Einflüssen wie diesen hatte mein Vater sie immer beschützen wollen.
    Offiziell pflegten meine Eltern mit den Missionaren höflichen Kontakt, sie tauschten sich sogar über den Gebrauch von Medikamenten aus. Schließlich saßen beim Thema medizinische Versorgung alle in einem Boot. Das waren aber auch schon die einzigen Gemeinsamkeiten. Hinter den als Sprachforscher getarnten Missionaren stand eine mächtige Organisation aus Amerika. Und hinter uns stand im Zweifelsfall niemand, falls es in der politisch ganz und gar instabilen Lage Probleme gegeben hätte. Allerdings bemühten sich meine Eltern, das Ganze von mir fernzuhalten. Insofern begegnete ich auch den Kindern der Missionare ohne Vorbehalte und hätte sie gerne zu einem Gegenbesuch in Mashipurimo eingeladen. Aber davon wollten meine Eltern nichts hören.
    Während sich unsere Eltern unterhielten, zeigten mir die beiden Söhne der Missionare ihre Bilderbücher und Spielsachen. Vor allem von einem Buch konnte ich meine Augen kaum abwenden. Denn was ich da sah, ließ mein Herz höher hüpfen. Eine bunt bebilderte Geschichte über ein kleines Reh. Das war ja Kalijaku!
    Gebannt betrachtete ich die prächtigen Zeichnungen. Das Kitz mit den großen Augen und den wackeligen Streichholzbeinchen war wirklich süß. Vorsichtig blätterte ich Seite für Seite weiter, während ich Bambis traurige Geschichte erfuhr: Wie das Kitz ohne Mutter im Wald aufwachsen musste, weil skrupellose Jäger sie erschossen hatten. Die Aparai-Jäger hätten niemals ein Muttertier in Begleitung ihres Kitzes erlegt! Selbst in ärgsten Hungertagen wurde die Schonzeit für Mutter- und

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