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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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sogar Gelegenheit bekommen, ein echtes Baby zu umsorgen.

    Geknüpftes Wäju
     

Glückskind Tanshi
     

Das Drama um Tanshi
     
    Eines Tages bemerkte ich, dass meine Lieblingstante Malina immer dicker wurde. »Ich bekomme ein Kuku«, vertraute sie mir an und legte meine Hand auf ihren Bauch. Ich spürte, dass sich etwas unter der gewölbten Bauchdecke bewegte, und zog meine Hand schnell wieder zurück. Das war mir nicht geheuer. Malina lachte. »B ald kannst du dich mit Koi und Sylvia um das Kuku kümmern. Ihr könnt ihm dann alles beibringen.«
    Ich fieberte dem Tag entgegen, an dem das Baby auf die Welt kommen würde. Koi war anfangs nicht sonderlich begeistert, immerhin konnte ihr so ein Geschwisterchen den Rang als Familienliebling ablaufen. Immer wenn ich mich nach dem Befinden von Malina erkundigte, wechselte Koi demonstrativ das Thema.
    Doch noch bevor das Kuku geboren wurde, stand es im Mittelpunkt eines Dramas, das selbst für die Aparai nicht alltäglich war.
    Wie jeden Morgen krabbelte ich mit dem ersten Hahnenschrei aus meiner Hängematte, trat vor unsere Wohnhütte und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Etwas verträumt machte ich mich auf den Weg zum Fluss. Normalerweise gesellten sich unterwegs Koi, Mikulu und einige andere Kinder zu mir, während die ersten Frauen schon wieder den Rückweg ins Dorf antraten. Kleine Pfützen markierten den Weg, den sie mit ihren Kesseln und Kalebassen entlanggelaufen waren. Doch diesmal war irgendetwas anders als sonst. Mashipurimo war wie leer gefegt. Ein sanfter Wind wirbelte Staub über die Erde, kleine Blätter und Holzspäne tanzten darin ihren Reigen. Nirgendwo sah ich Frauen, nirgendwo waren Kinder, mit denen ich mir ein Wettrennen durchs Dorf hätte liefern können. Es herrschte Totenstille. Die aufgehende Sonne tauchte die Silhouetten der Hütten in ein unwirkliches Licht. Mich überfiel ein mulmiges Gefühl. Für einen Moment überlegte ich, ob es nicht besser sei, schnell zu unserer Hütte zurückzulaufen. Was, wenn das Dorf über Nacht von einem feindlichen Stamm überfallen worden war? Was, wenn gierige Goldgräber, Kautschukzapfer oder Holzfäller unser Dorf eingenommen hatten? Vielleicht hatten sie meine Eltern und mich einfach nur übersehen, unsere Hütte lag schließlich am Dorfrand, dahinter nur noch das undurchdringliche Dickicht des Urwalds. Was, wenn ein Jaguar in Mashipurimo umherschlich und alle geflüchtet waren?
    All meinen Mut zusammennehmend, lief ich vorsichtig weiter. Auf Zehenspitzen, bemüht, möglichst kein Geräusch zu verursachen, das mich verriet. Mein Atem ging flach, das Herz schlug mir bis zum Hals. Jedes Haus, an dem ich vorbeikam, war leer. Doch dann entdeckte ich plötzlich, dass sich die Dorfbewohner in einer Hütte am Rand des Dorfplatzes versammelt hatten. Alle standen dicht gedrängt beieinander. Ihre Gesichter wirkten wie versteinert. Nur die Kinder waren nach wie vor wie vom Erdboden verschluckt.
    Ich hörte ein dumpfes Geräusch, als ob etwas Schweres zu Boden fiel. Danach ein langes, qualvolles Stöhnen. Ein verletztes Tier?
    Wie angewurzelt blieb ich stehen und lauschte. Da! Wieder dieser dumpfe Schlag. Zögerlich machte ich ein paar Schritte auf die Hütte zu. Ich konnte kaum glauben, was ich sah. In der offenen Nachbarhütte lag Tante Malina mit ihrem kugelrunden Bauch auf der Erde. Wie ein hilfloser Käfer. War sie hingefallen? Schweigend und mit unbewegter Miene sahen die Erwachsenen dabei zu, wie sich Malina mit schmerzverzerrtem Gesicht mühsam am Stützpfosten der Hütte hochzog. Warum half ihr denn keiner? Entsetzen packte mich, ich bekam keinen Laut über die Lippen. Ich schaffte es nicht einmal wegzulaufen.
    Dass die Erwachsenen von Mashipurimo dazu verdammt waren, tatenlos zuzusehen, wie Malina ihr ungeborenes Kind tötete, erfuhr ich erst später. Auch, dass die Kinder des Dorfes frühmorgens auf eine Insel im Fluss gebracht worden waren, damit sie von dem grausamen Schauspiel nichts mitbekamen. Malina sollte öffentlich Buße tun, und alle sollten es sehen. So hatte es ihr Gemahl Kulapalewa bestimmt. Und wenn einmal eine solche Entscheidung getroffen war, wagte niemand zu widersprechen. Es galt als Familienangelegenheit.
    Ehebruch kam auch bei den Aparai vor, wenngleich er nicht gerne gesehen war. Meist stand am Ende eine feierliche Versöhnung, und falls nicht, trennte sich das Ehepaar. Mal unter lautem Geschrei, mal heimlich und leise. Malinas Ehemann Kulapalewa hingegen hatte sich für einen anderen

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