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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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Weg entschieden. Rasend vor Wut hatte er bestimmt, dass seine junge Zweitfrau für die »S chande«, die sie über ihn gebracht hatte, öffentlich Buße tun sollte. Und nicht nur das. Mit dem Gewehrkolben hatte er Malina aus dem Haus getrieben und vor eine bittere Wahl gestellt: Entweder sie starb – oder das Kind. Wegen ihrer Tochter Koi hatte sich Malina schweren Herzens gegen das ungeborene Kind entschieden.
    Das Kind stammte von Chico, Kulapalewas Sohn aus der Ehe mit seiner Erstfrau Pulupulu. Kulapalewas Enkel entsprang damit einer Liaison, die seine Frau mit ihrem Stiefsohn eingegangen war. Damit hatte sie besonders schwere Schuld auf sich geladen. Dass Chico vielleicht Malina schöne Augen gemacht hatte, spielte keine Rolle.
    Sie, die Halbschwester von Tuuwonno, dem Oberhäuptling von Bona, war als junge Zweitfrau des gestrengen und würdevollen Kulapalewa nach Mashipurimo gekommen. Ihr erster Mann, ein junger Wajana, war schon früh durch einen tragischen Unfall ums Leben gekommen. Die beiden waren nach Aldeia Bona gefahren, um Verwandte zu besuchen. An jenem Tag landete ein Hubschrauber in Bona, dem einzigen Dorf in der Gegend mit einer eigenen kleinen Flugpiste, weshalb es manchmal als die »G roßstadt« der Aparai-Wajana bezeichnet wurde. Kaum jemand im Ort hatte schon einmal einen Hubschrauber gesehen, das ohrenbetäubende Knattern der Rotorblätter versetzte alle in Staunen. Deshalb wusste auch niemand, dass die Blätter des Helikopters noch nicht stillstanden, obwohl der Motor bereits aus war. »D ie Grashalme bogen sich noch im Wind, als Malinas Mann mit einem Lächeln auf den Lippen enthauptet wurde«, hatten die Frauen von Mashipurimo mir einmal erzählt. »A ber schscht, nun wollen wir nicht weiter darüber reden.«

    Häuptling Kulapalewa
     
    Wenn ein Aparai seinen Ehepartner verliert, kehrt der Hinterbliebene wieder in den Schoß seiner Familie zurück. Tuuwonno hatte Kulapalewa nicht lange bitten müssen, seine anmutige Halbschwester zur Zweitfrau zu nehmen, damit sie versorgt war. Pulupulu, Kulapalewas Erstfrau, war nicht glücklich über den Familienzuwachs. Sie war deutlich älter als ihr Mann, und die neue Frau war in etwa so alt wie der gemeinsame Sohn. In den meisten Fällen verstanden sich Erst- und Zweitfrauen gut, zumal eine Nebenfrau auch große Hilfe im Alltag versprach. Man teilte sich die tägliche Hausarbeit, nach der Jagd ging das Ausnehmen der Tiere leichter von der Hand, auch bei der Kindererziehung half die Zweitfrau, die im Idealfall zu einer richtigen Freundin wurde. Da es bei den Aparai selten genügend Partner im heiratsfähigen Alter gab, war die Mehrehe eine notwendige Konstellation in manchen Dörfern. Auch wenn sie der Tradition nach ausschließlich den Würdenträgern wie Häuptlingen und Zauberern vorbehalten gewesen war. Singles gab es im Urwald nicht. Eine alleinstehende Frau hätte nicht lange überlebt. Und ein alleinstehender Mann konnte zur Gefahr für verheiratete Frauen werden.
    Anders als heute, waren damals die meisten Ehen arrangiert. Das heißt, dass die Familien miteinander aushandelten, welche Verbindungen zum Vorteil aller waren. Natürlich gab es auch Liebesheiraten, doch vornehmlich ging es darum, dass keiner ohne Versorger dastand, um der Gemeinschaft nicht zur Last zu fallen. Im Fall von Malina erschien es für Kulapalewa verlockend, eine Zweitfrau in gebärfähigem Alter zu heiraten. Und aus Sicht der Mashipurianer sprach ebenfalls nichts dagegen, die vitale junge Frau in ihre Gemeinschaft aufzunehmen.
    Alle im Dorf mochten Malina. Doch anstatt die Nebenfrau mit offenen Armen zu empfangen und in ihr eine Gefährtin zu sehen, die sie auch im Alter unterstützen konnte, war Pulupulu von Anfang an auf Krawall gebürstet. Malina war schön, liebenswürdig und anmutig. Niemand hätte ihr Böses unterstellt. Niemand außer Pulupulu, die fürchtete, dass die junge Zweitfrau ihr den Rang ablaufen könnte. Nachdem die Reibereien zwischen den Frauen kein Ende nehmen wollten, rodete Kulapalewa – um den Hausfrieden zu retten – zwei getrennte Stücke Urwald für die Pflanzungen seiner Gemahlinnen. Auch zwei getrennte Kochstellen wurden bald eingerichtet, so dass der arme Kulapalewa häufig doppelt so viel zu Mittag und zu Abend essen musste wie zuvor. Die anderen rissen ihre Witze darüber: »A aahh, jetzt wird der Kulapalewa immer dicker. Bald ist er so rund wie seine Frau Malina.«
    Kulapalewas Sohn Chico freute sich über die Familienerweiterung. Lange

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