Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
gefüllten Kiepen, zu schaffen zu machen. Das Gleiche hatte uns Großmutter Antonia bereits am Vortag mit strenger Miene verkündet: »H ört ihr auch genau zu? Keeeeiiiner von euch wird sich auch nur in die Nähe der Aissali wagen, oder er bekommt es mit mir zu tun!« Eine Drohung, die durchaus Eindruck auf uns machte; denn war die sonst so würdevolle Antonia erst einmal in Rage, gab es kein Halten mehr. Wenn sie etwas sagte, hatte das mehr Gewicht als eine Ansage von zehn Amazonashäuptlingen zusammen. Für mich war sie die höchste Instanz von Mashipurimo.
Die Lianen wurden durch das Geklopfe immer dünner und zerfaserten; nur so würden sie später ihr tückisches Gift im Flusswasser abgeben. Als wir schon nicht mehr damit rechneten und nur noch ein paar Stücke übrig waren, durften die Kinder den Rest ausklopfen. Unter Aufsicht, versteht sich. Doch bevor ich mir eine der Lianen greifen konnte, wurde ich von meinem Vater zur Zuschauerin degradiert. Schmollend wandte ich mich ab – und entdeckte das erste Boot in unserer Bucht. Da kamen ja unsere Gäste! Wir rasten ihnen entgegen, um ihnen einen würdigen Empfang zu bereiten.
Zwei fröhliche Wajana-Frauen trugen gemeinsam einen schweren Kessel, jede hielt einen Henkel in der Hand. Vorsichtig balancierten sie mit ihrem Gastgeschenk über die Felsen. Koi und ich vermuteten in dem Kessel frisch gebrautes Maniokbier, das zu jedem Fest gehörte.
Nach einer Weile gab Anakalena den anderen durch ein flüchtiges Nicken zu verstehen, dass es nun an der Zeit war. Nacheinander rappelten sich alle auf, und die gesamte Gruppe setzte sich in Richtung der kleinen Stromschnelle in Bewegung; sie lag etwas unterhalb des großen Wassersturzes von Mashipurimo. Hier sprudelte der Fluss so flach über die Felsen, dass man in der Trockenzeit beinahe zu Fuß die Mitte seines Bettes erreichen konnte. Gleich unterhalb machten sich ein paar Männer und Frauen daran, eine Art Becken aus Felsbrocken zu errichten, damit sich das vergiftete Wasser in der Bucht staute.
Oberhalb der Stromschnelle wartete die Gruppe mit dem Lianengift. Anakalena stieß einen kurzen, gellenden Ruf aus. Vorsichtig wateten die Männer und Frauen mit Schalen und Körben in den Fluss. Die Lianen wurden so lange im Wasser geschwenkt, bis sich die blassweißen Farbwolken des austretenden Gifts scheinbar in nichts aufgelöst hatten. Wie schnell das Lianengift wirkte, bemerkten wir daran, dass bereits kurze Zeit später die ersten betäubten Fische an die Wasseroberfläche trieben. Leblos rutschten die silbrigen Fischkörper die Felsriffe hinab, direkt in die gestaute Bucht hinein, wo wir zum Platzen gespannt darauf warteten, bis auch uns ein kurzes Zeichen gegeben wurde.
Das Fischfest
Endlich klatschte der »H err der Aissali« in die Hände und lächelte uns zu. Wie eine Horde wild gewordener Wasserbüffel sprangen wir ins angestaute Wasser. Unser Geschrei konnte man sicher noch kilometerweit im Regenwald vernehmen. Das Gekreische der Brüllaffen war nichts gegen den Krach, den wir veranstalteten. Jubelnd stürzten wir uns auf die unzähligen, an der Wasseroberfläche treibenden Fische. Anfangs flutschten sie uns noch zwischen den Fingern hindurch, aber schon bald gewöhnten wir uns an ihre glitschige Haut und fanden eine Technik, mit der sich die narkotisierten Viecher am besten packen ließen. Wir formten die Hände einfach zu einem Trichter, den wir über der Schwanzflosse zuschnappen ließen.
Sobald wir einen Arm voll hatten, rannten wir zurück ans Ufer. Dort wuchs der Haufen silbrig schimmernder, kaum merklich zuckender Fischkörper stetig an. Großmutter Antonia und Tante Malina verpassten jedem Fisch mit einem Holzscheit einen Schlag auf den Kopf. Das war kein schöner Anblick, aber schlimmer als dieser schnelle Tod wäre das qualvolle Ersticken der Fische an Land gewesen. Tierquälerei war bei den Aparai tabu. Doch wer essen wollte, der musste auch töten. Toipä, so war das nun einmal.
Koi, Mikulu, Waranaré und Sylvia standen bis zur Hüfte im Wasser und hatten einen Kreis gebildet. In ihrer Mitte fingen sie alle Fische auf, die von der Stromschnelle heruntergespült wurden. Maläto, das Mädchen aus dem Nachbardorf, und ich zwängten uns dazwischen. Wir steigerten uns in einen regelrechten Sammelrausch.
Großvater Araiba verfolgte das übermütige Treiben vom Ufer aus. Als ich mich später erschöpft, aber glücklich, zu ihm hockte, sagte er: »J a, ja, ein großer Spaß. Nur schade, dass die
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