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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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Feuer zu einer glasharten Spitze aushärtete. Zum Test piekste er sich damit in den Finger, den er sofort zurückzog. Ein roter Blutstropfen glänzte in der Sonne. Inaina leckte sich kurz den Daumen ab und machte weiter, als wäre nichts passiert.
    Und nun war es endlich so weit! Einige Gäste aus den umliegenden Dörfern waren bereits eingetroffen, und der Wasserstand im Fluss versprach gutes Gelingen. Überall ragten Steine und Felsen aus dem Wasser. Koi und ich hatten schon oft geübt, die im Uferschlamm lebenden Harnischwelse zu fangen. Das war nicht besonders schwer, denn diese Urzeitfische waren äußerst träge. Koi behauptete, dass sie auch nicht gut sehen konnten.
    »S ie leben in Höhlen im Flussbett, weißt du das nicht?« Um so einen kleinen Knochenfisch zu fangen, benötigte man nicht einmal Lianengift. Man musste sich nur in Geduld üben und lange genug auf den Schlamm starren, bis sich etwas darunter bewegte. Dann griff man beherzt zu, packte den überrumpelten Fisch an der Schwanzflosse und schleuderte ihn mit Schwung an Land. Dabei bekamen wir auch die interessante Unterseite der Fische zu Gesicht. Die Lippen der Harnischwelse waren zu einer Saugscheibe geformt, mit der sie Flusssteine und Uferwurzeln auf der Suche nach Nahrung gut absuchen konnten.
    Mithilfe von Lianengift ging so eine Jagd natürlich noch viel besser; das Gift betäubte die Fische, die anschließend reglos an der Wasseroberfläche trieben. Dort ließen sie sich mühelos einsammeln. Und vor den wenigen Piranhas, die sich um diese Jahreszeit noch im Fluss tummelten, brauchte man sich dabei auch nicht in Acht zu nehmen, denn bei Niedrigwasser verzogen sie sich in die kühlere Mitte des Flusses.
    In Mashipurimo teilten wir die Fische in drei Arten ein. Da gab es die Fische zum Essen, dann jene, vor denen man sich in Acht nehmen musste, wie zum Beispiel vor Piranhas, Zitteraalen, Stachelrochen mit einem Giftstachel am Schwanzende und einer bestimmten Sorte von Riesenwelsen. Und schließlich gab es Fische, die man selten und nur durch Zufall entdeckte. Nicht zu vergessen natürlich die sogenannten Riesenfische, die allerdings nur in den Märchen und Mythen der alten Zeit eine Rolle spielten. Für mich gab es allerdings noch eine weitere Kategorie: Fische, die man zwar essen konnte, die aber nicht besonders gut schmeckten. Dazu gehörten die Pakus, die weißes, nahrhaftes Fleisch hatten, mehr aber auch nicht. Selbst reichlich gewürzt, schmeckten sie einfach nur fad.
    Nachdem wir nun wussten, dass am kommenden Tag der Fischzug bevorstand, wurden wir ganz hibbelig. In den prächtigsten Farben malten wir uns aus, wie jeder von uns haufenweise Beute machen würde. »S o einen großen Fisch werde ich fangen«, prahlte Mikulu und hielt seine Arme so weit auseinandergestreckt, wie er konnte. Koi, Sylvia und ich grinsten. Solche Riesenfische gab es im Rio Paru tatsächlich, aber die hielten sich selten in Ufernähe auf. Schon gar nicht bei Niedrigwasser. Außerdem war es wahrscheinlicher, dass der Fisch den kleinen Mikulu erbeutete als umgekehrt. Beim Fischen mit Lianengift ging es abgesehen davon auch eher um die Mengen, die gefangen wurden, nicht um Trophäen, mit denen man hinterher durchs Dorf stolzierte.
    Während meiner Kindheit lebten in den weitverzweigten Flussläufen des Amazonas über 1500 bekannte Fischarten, neben zahlreichen noch Unentdeckten. Wissenschaftler schätzen, dass insgesamt über 5000 Fischarten in den Amazonasgewässern heimisch sind. Ein Artenreichtum, der heute durch die Quecksilbervergiftung und zahlreiche Staudammprojekte bedroht wird. Dieser Reichtum an Wassertieren hat die Kultur der Aparai immer begleitet. So bezeichnen sich viele Völker am Amazonas selbst als diejenigen, die einst aus dem Wasser kamen. Als Wasservölker, deren wichtigste Lebensgrundlage der Fluss ist. Ein sauberer Fluss.
    Am Abend kehrte eine kleine Gruppe von Männern und Frauen aus dem Urwald zurück. Ihre Rückenkiepen waren randvoll mit zusammengeschnürten und verschlungenen Kletterpflanzen. Einige Männer trugen die Lianenbüschel auf ihren Schultern, andere transportierten die giftigen Blätterschlangen in eingerollten Bananenblättern. Jedes Lianenstück hatte eine Länge von gut einem Meter. Neugierig strichen wir um die Sammler herum. Anakalena schritt mit stolz geschwellter Brust und feierlichem Gesichtsausdruck den anderen voran. Er war diesmal von der Dorfgemeinschaft zum »H errn der Aissali«, dem Herrn der Giftlianen, bestimmt

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