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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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Vieh erschossen worden, weil sie auf dem Land ihrer Vorväter lebten, dem man Rohstoffe entreißen und gigantische Weideflächen abringen konnte.
    Schätzungen zufolge leben heute noch an die hundert isolierte Urvölker auf unserem Planeten. Ein Großteil davon, sechzig bis siebzig, im brasilianischen Regenwald. Zurückgezogene Völker, sogenannte Unkontaktierte, wie zu meiner Kindheit die Ituakeré. Sie galten als eines der letzten Völker im Urwald, die nicht einmal den Bau von festen Hütten kannten. Geschweige denn den Anbau von Obst und Gemüse. Angeblich lebten sie in Höhlen und Erdlöchern oder schliefen, wenn sie sich bedroht fühlten, auf Bäumen. Es hieß, dass die Waldmenschen immer weniger wurden. Dass sie starben und ihre Frauen keine Kinder mehr gebaren.
    Kurz nach dem Vorfall in der Badebucht erreichte die Nachricht unser Dorf, dass nach vielen Jahren der Ruhe wieder Kinder aus den Nachbardörfern verschwunden waren. Überall wurde nach ihnen gesucht, doch sie blieben wie vom Erdboden verschluckt. Alle debattierten darüber, wie wir uns schützen könnten. Die Kinder wurden ermahnt, wachsam zu sein und immer in der Gruppe zu bleiben. Alleingänge waren von nun an untersagt.
    Es vergingen Monate, in denen nichts Ungewöhnliches passierte. Ein Tag glich dem anderen, und die Gefahr durch die Ituakeré verblasste für uns Kinder wie ein böser Traum, an den man sich bald schon nicht mehr erinnerte. Anders erging es den Erwachsenen, die immer wieder über die mögliche Bedrohung durch die Waldmenschen sprachen. Hin und wieder schnappten wir einige Wortfetzen der Unterhaltungen auf. Das Einfachste wäre es, hörten wir, die Ituakeré aufzusuchen und sie zu töten, damit von ihnen keine Gefahr mehr ausginge. Doch das wollte keiner. Einem Stamm, der keine Nachfahren mehr bekam, musste man vielmehr helfen. Der Rat von Mashipurimo beschloss schließlich, dass wir uns auf den Weg in den Urwald machen sollten, um den Ituakeré unsere Hilfe anzubieten. Vielleicht konnten wir ihnen den Bau stabiler Pfahlbauten beibringen; und unsere Frauen konnten Stecklinge mitnehmen, um ihnen zu zeigen, wie Maniok und Süßkartoffeln angebaut wurden. Im Gegenzug, so der Gedanke, sollten die Ituakeré versprechen, die Kinder der Aparai und Wajana zu verschonen.
    Im Reich des Jaguars
     
    Unsere »E xpedition« zu den Waldmenschen begann mit einer Bootsreise; die Einbäume lagen tief im Wasser, wir hatten beachtliche Mengen Gepäck an Bord. Nach einer langen Flussfahrt vertäuten die Männer die Boote am Ufer und wir gingen zu Fuß weiter. Dabei drangen wir viel tiefer als sonst in den düsteren Regenwald vor. Das war noch einmal eine völlig andere Welt. Einige Männer gingen mit ihren Macheten voraus und hieben einen schmalen Pfad durch das Dickicht. Die anderen folgten, beladen mit Körben, Rückenkiepen und Bündeln. Dann kamen die Frauen und ich als einziges Kind. Meine Eltern hatten sich dazu entschlossen, mich mitzunehmen, weil ihnen das in diesen Tagen sicherer erschien, als mich in Mashipurimo zurückzulassen.
    Hier und dort schimmerte ein wenig Licht durch die Baumkronen. Wenn ich darauf achtete, entdeckte ich Tiere und Pflanzen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Wunderschöne Schmetterlinge, turmhohe Termitenhügel, ein Ameisenbär, der sich trollte, sobald wir uns näherten, ein fetter Leguan, der uns aus seinem Versteck hinter den Blättern beobachtete, während ein paar Agoutis fluchtartig im Unterholz verschwanden. Menschen kamen hier gewiss nicht alle Tage entlang.
    Endlich erreichten wir das Gebiet, in dem die Jäger der Aparai und Wajana wiederholt Spuren der Waldmenschen gefunden hatten. In Form von erlegtem und angegessenem Wild, fremdartig markierten Pfeilen und aufgegebenen Nachtlagern. Die Männer hatten leere Schildkrötenpanzer entdeckt, Schneckenketten und sogar eine Keule. Sie war sehr viel einfacher, aber auch stabiler als die der Aparai, die Keulen längst nicht mehr zur Jagd, sondern nur noch zu zeremoniellen Zwecken gebrauchten. Etwas, das keiner der Aparai-Jäger je gesehen hatte, war eine Feuerstelle der Ituakeré. Deshalb hielt sich das Gerücht, die Waldmenschen würden den Gebrauch von Feuer nicht kennen.

    Rio Paru hinter Bona
     
    Unser Marsch führte uns so tief in den Regenwald hinein, dass irgendwann auch das letzte Tageslicht von den Baumwipfeln verschluckt wurde. Je dunkler es wurde, umso lauter erklangen die Geräusche um uns herum. Unzählige Vogelstimmen, Insektensummen, Gurren,

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