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Das Maedchengrab

Das Maedchengrab

Titel: Das Maedchengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadja Quint
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noch immer, offenbar brauchte er einige Augenblicke, bis er verstand, was Fine mit dem Vergleich vom Rotkäppchen ausdrücken wollte. Dann meinte er: »Es ist klug, was du sagst, Fine. Und ich kann wohl nachvollziehen, worum es dir geht. Aber verstehe bitte auch, dass ich dir nur eingeschränkt Auskunft geben kann. Und schon gar nicht hier, mitten auf einem öffentlichen Weg.«
    »So sollten wir andernorts sprechen«, entgegnete Fine mit großem Ernst. »Und ich sage dir auch zu, dass ich es nicht weiter verbreiten werde. Das verspreche ich dir beim Seelenfrieden meiner toten Eltern.«
    »Nun dann, Fine«, Gerd tat einen tiefen Atemzug. So ganz schien er noch nicht von dem Vorhaben überzeugt, aber er ging auf Fines Wunsch ein. »Ich werde Gudrun bitten, anwesend zu sein bei der Unterredung. Es ist sicher besser für dich, wenn eine junge Frau dabei ist. Wann ist denn abends dein Gänsedienst beendet?«
    »Immer ab halb neun bin ich frei«, entgegnete Fine eifrig.
    Gerd nickte. »Gut. Dann komme morgen um halb neun in Gudruns Haus, ich will sie bis dahin vorbereiten. Und nun muss ich weiter.« Bevor er loszog, blickte er sich erneut um und stellte fest, dass auch jetzt niemand in der Nähe war.
    »Danke, Gerd. Bis morgen dann!« Fine verabschiedete sich und ging zurück zum Pferch.
    Obwohl die Sache so ernst war, freute sie sich und wäre am liebsten auf der Wiese umhergehüpft, doch sie beherrschte sich. Sie ließ die Gänse wieder raus und hütete sie wie jeden Abend bis acht Uhr.
    Fine erzählte niemandem von ihrer Verabredung, auch nicht Basti oder der Schwarzen Marjann. Den nächsten Tag verbrachte Fine voll innerer Aufregung, aber diesmal freute sie sich ohne jede Angst auf den Abend. Zu den Gänsen verhielt sie sich besonders freundlich, und die Tiere dankten es ihr, als verstünden sie, was in dem Mädchen vor sich ging. Sobald der Kirchturm am Abend acht Uhr schlug, ließen sie sich willig in den Pferch treiben und gaben Fine die Gelegenheit, pünktlich von den Hollerwiesen aufzubrechen. Zurück bei Marjann aß sie bloß einen Brotknust. Die alte Frau war gewohnt, dass Fine sich abends nach einer Mahlzeit noch für ein oder zwei Stunden mit anderen jungen Leuten im Dorf traf. Sie schöpfte keinen Verdacht, als ihre Quartierstochter um kurz vor halb neun noch einmal das Haus verließ.
    Auf dem Weg zu Gudrun gab Fine sich alle Mühe, ruhig zu gehen, auch grüßte sie freundlich die Ravenzacherin, die ihr in Höhe des Dorfkrugs begegnete. Gudruns Haus lag etwas weiter zur Ortsmitte hin in einer Senke am Spielplatz, wo bei warmem Wetter Fronleichnamsgottesdienste und andere Veranstaltungen unter freiem Himmel abgehalten wurden. Niemandem fiel es auf, als Fine dort pünktlich um halb neun anklopfte.
    Gudrun öffnete sogleich die Tür. Es freute sie, Fine zu sehen. »Nur um eines bitte ich dich: Sprich leise«, sagte sie. »Mein Vater schläft nebenan in der Kammer.«
    Fine nickte verständig. Das kleine Haus am unteren Teil der Hardtstraße kannte sie bisher nur von außen. Gudruns Vater war früher Maurer gewesen, oft war Fine ihm begegnet, wenn er an den Häusern und Ställen des Dorfes seine Arbeit versehen hatte. Doch eine unheilbare Krankheit seiner Knie und Hüften fesselte ihn mittlerweile schon seit Jahren ans Bett. Gleich beim Eintreten nahm Fine den intensiven Geruch von Kampfer wahr. Vermutlich machte Gudrun ihrem Vater damit regelmäßig Umschläge zur Linderung der Schmerzen.
    Flüsternd gratulierte Fine der jungen Braut noch einmal persönlich zur Verlobung.
    Gudrun bedankte sich gerührt. Der Glanz ihrer Wangen breitete sich über ihre gesamte Erscheinung aus. Dabei trug sie noch nicht einmal ein prächtiges Kleid, sondern lediglich Bluse und Rock aus einfachem, grauem Kattun. Doch allein Gudruns helle Wangen unter dem dichten, kastanienbraunen Haar, das sie zu einem Zopf geflochten hatte, ließen sie strahlen.
    Es stimmt also, dachte Fine bei sich, die Liebe macht schön.
    Gudrun ging voraus in eine einfache Stube, dort saß Gerd bereits am Tisch. Zur Begrüßung stand er auf. Fine wunderte sich ein wenig, denn eine solch höfliche Behandlung war sie mit ihren dreizehn Jahren noch nicht gewohnt.
    »Setz dich bitte«, Gudrun bot ihr einen Stuhl an. »Du isst doch mit uns?«
    Noch ehe sie erwidern konnte, dass man sich ihretwegen keine Umstände machen sollte, stellte Gudrun einen Teller vor sie hin und verschwand in die Küche.
    »Von unserer kleinen Feier ist noch eine gute Suppe übrig«,

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