Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
Aktionsplan zu besprechen, den ihr auf diesen Flugblättern findet …«
Gierig wurden den Freiwilligen die Flyer aus der Hand gerissen. Auf den Flugblättern stand in großen Lettern: »Stoppt die Blasphemie!«
Darunter war ein Foto von Maureen Paschals neuem Roman zu sehen, Die Zeit kehrt wieder , sowie ein weiteres Foto der Hure selbst.
Kapitel sechs
Careggi
Frühling 1463
D i e Sonne färbte die Mauern von Careggi lohfarben, als Lucrezia Tornabuoni de’ Medici am Fenster stand und ihrem ältesten Sohn nachblickte, der mit wehendem schwarzem Haar davonritt. Als spüre er den Blick der Mutter, drehte Lorenzo sich im Sattel um und winkte mit strahlendem Lächeln zum Haus zurück, ehe er in den Wald galoppierte und verschwand. Mit seinen vierzehn Jahren war Lorenzo bereits ein junger Mann, hochgewachsen und kräftig und von gewinnendem Wesen. In ihm vereinten sich ein scharfer Verstand und ein liebevolles Herz. Lucrezia achtete streng darauf, dass diese beiden Eigenschaften bei seiner Erziehung geschützt und gefördert wurden.
Mit den Jahren war Lucrezia sehr fromm geworden, wenn auch nicht »langweilig fromm«, wie sie es zu nennen pflegte. Zu ihrer eigenen Erbauung schrieb sie Gedichte, denn sie sah sich in Gottes Schuld, da er ihre Familie so überreich mit Gaben bedacht hatte. Mit eigener Hand hatte sie ein Zitat aus Psalm 127 gestickt, das nun ihr gemeinsames Schlafgemach mit Piero zierte:
Kinder sind eine Gabe des Herrn, die Frucht des Leibes ist sein Geschenk.
Ja, Gott hatte sie und Piero reich beschenkt mit fünf prächtigen Kindern – den drei Töchtern Maria, Bianca und Nannina und den beiden Söhnen Lorenzo und Giuliano. Lorenzo war der ältere und glich seiner Mutter innerlich wie äußerlich. Lucreziawar keine schöne Frau, doch sie besaß Liebreiz und Verstand, die mehr wogen als das seichte Ideal körperlicher Vollkommenheit. Leider hatte sie das hässlichste Familienmerkmal an ihren Sohn Lorenzo vererbt: die platte Nase, die beiden den Geruchssinn nahm und sie der Fähigkeit des Singens beraubte. Doch Lorenzo hatte auch die Vorzüge seiner Mutter geerbt, vor allem Körpergröße und eine königliche Haltung, dazu den außergewöhnlich scharfen Verstand, der Lucrezia zu einer der begabtesten Frauen in Florenz machte. Was die Geistesschärfe anging, konnte kein Gleichaltriger Lorenzo das Wasser reichen. Seine Liebe zum Lernen wurde nur noch von seinem Talent für Sprachen übertroffen, und es war eine Freude zu sehen, wie er die schwierigsten Zusammenhänge begriff und sich zu eigen machte.
Wie seine Mutter besaß Lorenzo außergewöhnliches Charisma, neben dem seine körperlichen Defekte verblassten. In seinem lebhaften Gesicht drückte sich seine innige Liebe zum Leben aus, und die sonst so zynischen Florentiner liebten ihn und nannten ihn zärtlich »unseren Prinzen«. Obwohl er noch jung an Jahren war, hatte man Lorenzo bereits wichtige diplomatische Aufgaben für seine Familie und die Republik Florenz übertragen.
»Wohin reitet Lorenzo, Mutter?«
Die helle Stimme an der Tür veranlasste Lucrezia, sich mit einem Lächeln umzudrehen. Ihr Sohn Giuliano, vier Jahre jünger als Lorenzo, blickte sie schmollend an. Tränen schimmerten in seinen großen braunen Augen.
»Der Stallmeister war hier, um Lorenzo zu sagen, dass sein verwöhntes Pferd unruhig ist und sich von niemandem füttern lassen will, außer von Lorenzo. Er ist losgeritten, um das Tier ein wenig zu bewegen.«
»Aber er hat gesagt, er reitet heute mit mir aus«, schmollte Giuliano. »Er hat es versprochen! Warum hat er mich nicht mitgenommen?«
»Er kommt bestimmt zurück, wenn er es dir versprochen hat. Lorenzo bricht nie ein Versprechen.« Lucrezia sprach die Wahrheit:Lorenzo war vertrauenswürdig und stand zu seinem Wort, besonders wenn er es seinem kleinen Bruder gegeben hatte, den er bedingungslos liebte.
Lucrezia streckte die Hand aus und zerzauste ihrem jüngeren Sohn die dunklen Locken. Giuliano hatte sämtliche körperlichen Vorzüge geerbt, die Lorenzo versagt geblieben waren. Er war ein hübsches Kind mit gutherzigem, wenn auch übersensiblem Naturell. Mehr als einmal hatte Piero zu Lucrezia gesagt: »Gott wusste, was er getan hat, als er uns Lorenzo als Fürsten schenkte. Er ist wie geschaffen für diese Aufgabe. Giuliano hingegen wird nie zum Herrscher taugen. Er ist zu weich und nachgiebig.«
Die Eltern hätten es gerne gesehen, wäre Giuliano dem Ruf der Kirche gefolgt, was den Medici dienlich
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