Das magische Land 1 - Der Orden der Rose
Schankstube.
Das war zwar angemessen, aber Gereint missfiel es zutiefst. Averil empfand es genauso. »Mein Diener wird gegenüber von meinem Zimmer schlafen«, sagte sie.
Damit war ihr hehrer Vorsatz, sich selbst als Dienerin auszugeben, dahin. Die Wirtin wollte Einspruch erheben, aber Averils Blick war bestimmt. Die Frau gab nach und machte sogar eine leichte Verbeugung. »Wie Ihr wünscht, Herrin«, sagte sie.
Averil korrigierte sie nicht bezüglich der Anrede. »Wir werden unten speisen«, erklärte sie stattdessen. »Sorgt dafür, dass der Junge eine doppelte Portion von allem bekommt. Er isst wie ein ausgehungerter Wolf.«
Dieser Hinweis brachte ihr ein frostiges Lächeln der Wirtin ein. Sie platzierte sie an einem Tisch in der besten und hellsten Ecke der Schankstube und lud ihnen Essen auf die Teller, bis Gereint um Gnade flehte.
Er tat sein Bestes, mit Averils Hilfe alles aufzuessen. Sie verputzten einen gebratenen Kapaun, eine Wildpastete, einen Salat aus Kräutern und Spätsommergemüse und einen Pudding aus Gerste, Honig und getrockneten Feigen. Dazu erhielten sie einen Krug mit recht anständigem braunem Bier. Gereint lehnte sich stöhnend zurück. »Dieser Wolf wird eine Woche lang nicht jagen«, sagte er.
Averil schenkte ihm ein schwaches Lächeln. Mit wachsamen Augen beobachtete sie, wie die Zahl der Gäste nach und nach anstieg, da mehr und mehr Leute Schutz vor dem Regen suchten. Die meisten waren Einheimische — immer ein gutes Zeichen in einer Gastwirtschaft —, aber es gab auch ein paar Pilger, die Fleisch und Bier verschmähten, sich jedoch mit großem Appetit das frisch gebackene Brot und den kräftigen Käse einverleibten. Dann waren da noch zwei, drei reisende Hausierer und ein unauffälliger braun gekleideter Mann, dessen Magie so stark war, dass Gereint sofort von ihm Notiz nahm.
Es war keine Schlangenmagie. Es erinnerte ein wenig an die Künste der Rose, aber es gab ein paar Unterschiede, die Gereint gelernt hatte zu erkennen. Dies musste ein Magier der fünf Elemente sein, dachte Gereint, oder vielleicht gehörte er zum Orden von Sankt Cécile: ein Seher, dessen Fähigkeiten eher aufs Heilen als aufs Wetter ausgerichtet waren. Und dennoch war an ihm, ein gewisses überwältigendes Gefühl, das Gereint nicht recht benennen konnte. Als er versuchte, sich eine genauere Vorstellung zu machen, kam ihm der Jagdaufseher des Barons aus den Wäldern bei Rémy in den Sinn. Gereint glaubte nicht, dass der Sturm ein Werk dieses Mannes war. Er schien ihn unangenehm zu finden, denn auch er hatte Schutz davor gesucht und wärmte sich nun mit erhitztem Bier und einer Wildpastete.
Averil zeigte kein Interesse an ihm. Sie lauschte dem Klatsch der Bauern und Kaufleute. Gereint kannte dieses Gerede, seit er als Kleinkind mit seiner Mutter zum Markt gekommen war, und schenkte ihm keine große Beachtung. Sie redeten nicht über den König oder Magie oder Ähnliches, sondern nur über ihre eigenen Belange, das Wetter und die Ernte und schimpften über die hohen Steuern. Gereint merkte ein wenig auf, als er diese Klage hörte, aber sie gaben dem Herzog die Schuld daran. Über den König sagten sie nichts.
Der Raum wurde wärmer, je mehr er sich füllte. Der Geruch nach Menschen und feuchter Wolle war überwältigend. Gereint merkte, wie ihm nach und nach die Augen zufielen.
Als die Soldaten hereinkamen, erschienen sie ihm wie ein Teil seines Traums. Sie trugen Lederkürasse und das Wappen einer örtlichen Baronie, aber irgendetwas stimmte nicht mit ihnen …
Vielleicht lag es an dem Traum, in den er geglitten war, dass er das Zischen von Schlangen zu vernehmen glaubte. Dabei hatten die Soldaten nichts Ungewöhnliches an sich. Es waren kräftige, gut genährte Männer, mit einer offensichtlichen Vorliebe für das Bier dieser Gastwirtschaft. Ihre Sprache war so vulgär, wie es bei Soldaten zu erwarten war, und wurde durch Madam Aubins gestrengen Blick kaum gezügelt.
Sie fluchten jedoch nicht bei Gott oder seinem Sohn. Das mochte in dieser Gegend vielleicht einfach so Brauch sein, aber Gereint fand es seltsam. All ihre Flüche hatten mit körperlichen Dingen zu tun. Geistige Dinge fanden keinerlei Erwähnung. Es zeugte von einer Leere, als ob sie diese Dinge gar nicht besäßen. Als Gereint dies begriff, konnte er sie nicht länger als menschliche Wesen betrachten. Sie waren Abbilder von Männern, die sich bewegten und miteinander sprachen, die aßen und tranken und fluchten — aber nicht bei dem
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