Das magische Land 2 - Das Amulett der Schlange
Geschichte zweier Liebender vor dem Sturz der Schlange, die sich gegen ihre Familien stellten und den Meistern trotzten, die ihnen die Seelen rauben wollten. Soweit Averil sich entsinnen konnte, waren sie zusammen gestorben, während ihre Seelen jedoch unversehrt blieben.
An diesem Tag hatte sie allerdings wenig Interesse für alte Geschichten. Sie war froh, als er mit einem fragenden Blick auf die Königin innehielt und nicht gebeten wurde weiterzulesen.
Eiluned setzte sich auf. Ihre Augen wirkten müde, aber ihr Lächeln war aufrichtig. »Kusine! Willkommen. Ist alles zu Eurer Zufriedenheit? Behandeln die Diener Euch mit dem nötigen Respekt?«
»Eure Diener erfüllen ihre Pflichten auf tadellose Weise, Kusine«, sagte Averil.
Eiluned legte den Kopf zur Seite. »Aber?« Sie deutete auf die Couch und lud Averil ein, Platz zu nehmen.
Averil wagte es nicht. Im Stehen hatte sie sich besser in der Gewalt; wenn sie sich auch nur ein kleines bisschen entspannte, würde sie zusammenbrechen und in Hysterie verfallen.
»Ich habe keinerlei Klagen über Eure Gastfreundschaft, Majestät«, sagte sie, »genauso wenig über Euer Königreich. Aber ich habe große Sorge darum. Die schwarze Flotte hat die Insel passiert, ohne anzulegen. Wir glauben, sie ist auf dem Weg hierher.«
Das rüttelte die Königin aus ihrer Mattigkeit. Dylan Fawr erstarrte. Nicht so der Junge, wie Averil bemerkte. Seine Brauen zogen sich zusammen, aber ansonsten blieb er ruhig sitzen, behielt alles im Blick und lauschte mit der schläfrigen Wachsamkeit einer Katze.
Eiluneds Gelassenheit und Lethargie waren verflogen. Ihre Stimme war klar und forsch. »Seid Ihr sicher?«
»So sicher, wie ich sein kann«, erwiderte Averil. »Wir haben in die Zukunft geblickt, der Knappe und ich, und wir sahen, wie die Schiffe die Wände aus Luft passierten. Sie segeln nach Nordwesten.«
»Konnte es ein Ablenkungsmanöver sein?«, fragte Dylan Fawr. »Clodovec kann sich denken, dass wir von seinen Plänen die Insel einzunehmen wissen. Vielleicht will er uns ja nur dazu verleiten, uns auf die Verteidigung Prydains zu konzentrieren. Dann könnte er die Flotte wenden und ungestört zum Angriff übergehen.«
Averil schüttelte den Kopf. »Er weiß, was sich hier befindet. Es ist ihm viel wichtiger als die Priesterinnen, und sobald er es hat, kann er alles zerstören, was er möchte.«
»Nur wenn er es handhaben kann«, sagte Eiluned. »Für sich allein hat es keinen Nutzen. Es scheint keine Magie zu haben, geschweige denn die Funktion einer Waffe.«
»Zuerst muss er es an sich bringen«, sagte Dylan Fawr. »Wir haben unsere eigenen Verteidigungsmittel, Comtesse.«
»Das habt Ihr, mein Freund«, sagte Averil. »Werden sie ausreichen?« »Was seht Ihr?«, fragte Eiluned.
Sie fragte nicht, was Averil beim Wahrsagen gesehen hatte, noch fragte sie, wie Averil all das sehen konnte, obwohl niemand anders es konnte. Entweder war dies ein Ausdruck großen Vertrauens oder sie wusste mehr, als sie vorgab. Averil schloss die Augen. In der Dunkelheit spürte sie, wie die Welt in Schieflage geriet; sie schwankte. Gereints Hände legten sich auf ihre Schultern und gaben ihr Halt.
Sie war sich bewusst, dass die Augen der Königin und die der anderen auf sie gerichtet waren. Wenn sie ihr geistiges Auge nur einen winzigen Spalt öffnete, konnte sie sich selbst dastehen sehen: in ihren schlichten schwarzen Kleidern, die Wangen vor Kälte gerötet und das Haar aus den Flechten gelöst, mit dem großen blonden Mann, der wie eine Mauer hinter ihr stand.
Die Vision schimmerte wie ein Spiegelbild in einem Glas. Durch sie hindurch sah sie wieder die See, die Mauern aus Luft, die Flotte. Der Sturm hatte an Stärke zugenommen. Einige der Schiffe trieben hilflos zwischen den Wellenbergen, aber die meisten hielten unbeirrt ihren Kurs.
Sie wurden von mehr angetrieben als vom Wind. Die Magie, die sie erfüllte, hatte nichts mit den Mächten von Luft und Wasser gemein. Der Wind, der ihre Segel blähte, blies aus einer anderen Richtung als der Wind der Welt. Ohne die Augen zu öffnen, fragte Averil: »Haben das Leichentuch und der Speer ihre eigene Magie?«
Es war Eiluned, die antwortete, obwohl Averil spürte, wie Gereint sich hinter ihr regte und seinen Griff festigte. »Auf der Insel sagt man, dass das eine ein Schild ist und das andere eine Waffe, aber niemand kann sich erinnern, ob sie jemals auf diese Weise genutzt wurden.«
»Ja«, sagte Gereint, »wir haben sie als Reliquien bewahrt,
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