Das magische Land 2 - Das Amulett der Schlange
eigenes Land Quitaine spüren. Es war immer in ihr, wo sie sich auch befand.
Sie drehte sich zu Gereint um. »Sie haben mir vertraut«, sagte sie. »Sie haben gar nicht gefragt, woher ich es weiß, obwohl niemand sonst etwas davon ahnte.«
»Ich glaube, sie wussten es schon.« Er lehnte ein kleines Stück von ihr entfernt an der Brüstung und schaute stirnrunzelnd auf den Fluss hinab. »Die Magie ist hier anders. Vielleicht nicht so andersartig wie die von uns beiden, aber auch hier gibt es nicht nur das Werk der Orden. Ich glaube, sie können seitwärts und nach vorn und hinten gleichzeitig schauen.«
»Die Königin ist Priesterin der Insel«, sagte Averil.
»Ja, und sind die Priesterinnen in gläserne Ketten gelegt? Sie haben ihren Ursprung in älteren Mächten, habe ich gehört. Die Orden können nicht über sie herrschen und würden nicht wagen, es zu versuchen.«
»Das Herz ihrer Magie ist Glas — genau wie bei den Orden. Die Insel selbst besteht aus Glas.«
»Und dennoch«, sagte Gereint, »können sie nicht über ihre eigenen Wände hinwegschauen? Seht Euch um. Wenn die Königin an die Orden gebunden wäre, würde sie der wilden Magie die Freiheiten gestatten, die sie hier genießt?«
Averil öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber seine Worte hatten eine gewisse Logik. Sie hatte die Weihen nicht empfangen; sie hatte umfassende Studien betrieben wie alle Schülerinnen der Priesterinnen, aber was wusste sie tatsächlich über die Geheimnisse der Insel? Wegen Gereint und seiner Fremdartigkeit wusste sie mehr über den Rosenorden als über die Priesterinnen, die sie aufgezogen hatten. Sie musste versuchen, einen Weg durch das Labyrinth zu finden. So viele Geheimnisse schlummerten nun in ihr. Der Zahn der Schlange, das Mysterium, zu dem er der Schlüssel war — wussten die Priesterinnen irgendetwas davon? Wollten sie es wissen?
Sie hatte der Königin nichts von dem Zahn erzählt, und Gereint hatte sie auch nicht dazu gedrängt. Sie betrachtete ihn von der Seite. Er war in seine eigenen Gedanken vertieft und schaute mit finsterer Miene in die kalte, klare Luft. Unerwartet überkam sie die Erinnerung an einen gemeinsamen Traum, in dem sie auf der Spitze eines Turms standen und über schwierige Dinge sprachen. In dieser Welt konnte ihr Gespräch nicht wie im Traum mit einem Kuss enden — und mochte sie noch so sehr in Versuchung sein. Sie musste sich damit begnügen, die Umrisse seines Profils mit ihrem Blick nachzuziehen. Entschlossen wandte sie sich ab und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Stadt, den Fluss und den Himmel. Sie hatte sich vorgenommen, nicht zu jammern, und obwohl sie nicht guthieß, was von ihnen verlangt wurde, so musste sie es dennoch ertragen.
Eines Tages, dachte sie, wird es sich ändern.
Der Gedanke fühlte sich an, als würden Scherben aus Kristallglas in ihrem Herzen zusammentreffen und sich in der Matrix seiner tief verwurzelten Kraft vereinen. Er war der Mann, den sie wollte. Wenn sie Himmel und Erde in Bewegung setzen musste, um es möglich zu machen, würde sie es tun. Selbst wenn sie die Schlange erwecken musste?
Sie erschauerte so heftig, dass sie fast zu Boden stürzte. Nein. Lieber Gott, nein. So weit würde sie nicht gehen. Aber fast so weit.
Kapitel 27
Der Winter hatte Einzug gehalten. Die Luft war klar und kalt, und obwohl die Sonne strahlend am Himmel stand, schenkte sie keine Wärme. Die Sterne in der Nacht waren wie Eissplitter in einem Gewölbe aus schwarzem Glas. In einer solchen Nacht, drei Tage nachdem Gereint den Zahn der Schlange entdeckt hatte, standen die Königin und einige ihrer Magier mit Averil am Hafenkai von Caermor. Das Schiff, das sie vom Stapel laufen lassen wollten, war viel kleiner als Dylan Fawrs Cernunnos, kaum größer als ein Fischerboot. Die Besatzung bestand aus einem halben Dutzend Seeleuten, die das karmesinrote Segel auf den einzigen Mast hissten. Schlafen mussten sie an Deck unter einer Schutzplane. Für den angeblichen adligen Passagier gab es mittschiffs einen hölzernen Unterschlupf direkt neben dem Mast. Es war ein schönes Boot mit einem geschnitzten Drachen am Bug und einer unübersehbaren magischen Aura. Die Männer, die es segelten, hatten menschliche Gestalt angenommen, aber aus den Augenwinkeln konnte Gereint netzartige Finger und runde fischähnliche Augen sehen. Sie würden sich in ihr heimatliches Element stürzen, sobald der Feind den Köder geschluckt hatte — weit draußen auf dem Meer, wie sie alle inständig
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