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Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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beredt, oder zumindest war es sein Geld. Ein alter Tatar aus dem Gebiet des Ob er  klärte sich nach längerem Feilschen schließlich bereit ihn hinzubringen.
    Der Fahrer orientierte sich nicht nach einem Kompass, was auch gar nicht möglich gewesen wäre. Stattdessen benutzte er andere Hilfsmittel, etwa seinen Dæmon, einen Polarfuchs, der am Bug des Schlittens saß und dort Witterung aufnahm. Lee trug zwar immer einen Kompass bei sich, hatte aber bereits festgestellt, dass das Magnetfeld der Erde wie alles andere gestört war.
    Während einer Rast, als sie Kaffee kochten, sagte der alte Fahrer: »Diese Erscheinung, sie war schon einmal.«
    »Was, dass der Himmel aufgeht? Das ist schon mal passiert?«
    »Viele tausend Generationen. Mein Volk sich erinnert. Vor langer Zeit, viele tausend Generationen.«
    »Und was sagen sie?«
    »Himmel geht auf und Geister spazieren zwischen dieser und anderer Welt hin und her. Ganzes Land bewegt sich. Eis schmilzt, dann friert wieder. Nach einer Weile Geister Loch wieder schließen. Versiegeln. Aber Hexen sagen, dass Himmel dünn ist hinter dem Nordlicht.«
    »Was wird geschehen, Umaq?«
    »Jetzt dasselbe wieder. Alles wieder genauso. Aber erst nach viel Unruhe, viel Krieg. Geisterkrieg.«
    Mehr wollte der Fahrer nicht sagen und kurz darauf fuhren sie weiter. Langsam glitten sie über Erhebungen und Senken und vorbei an Felskuppen, die als dunkle Schatten durch den bleichen Nebel zu sehen waren.
    Dann sagte der Alte: »Observatorium da oben. Du jetzt zu Fuß weiter, Weg zu steil für Schlitten. Wenn du zurück, ich hier warte.«
    »Ja, natürlich will ich wieder zurück, wenn ich fertig bin, Umaq.  Mach dir Feuer, mein Freund, und ruh dich eine Weile aus. Ich brauche drei oder vielleicht auch vier Stunden.«
    Lee Scoresby marschierte los, Hester sicher im Aufschlag seines Mantels verstaut. Nach einer halben Stunde angestrengten Kletterns tauchte über ihm eine Häusergruppe auf, so plötzlich, als habe eine riesige Hand sie im selben Moment dorthin gesetzt. Diese Wirkung kam nur dadurch zustande, dass der Nebel sich vorübergehend gelichtet hatte; schon nach einer Minute schloss er sich wieder. Lee sah die große Kuppel des Hauptobservatoriums, in einiger Entfernung davon eine kleinere und dazwischen einige Verwaltungs- und Wohngebäude. Nirgends war Licht zu sehen; man hatte die Fenster dauerhaft abgedichtet, um das für die Teleskope not  wendige Dunkel nicht zu beeinträchtigen.
    Bereits wenige Minuten nach seiner Ankunft sprach Lee zu einer Gruppe Astronomen, die ihn begierig nach Neuigkeiten ausfragten, denn es gibt kaum frustriertere Naturforscher als Astronomen im Nebel. Lee Scoresby erzählte ihnen, was er gesehen hatte, und als sie darüber ausführlich gesprochen hatten, fragte er nach Stanislaus Grumman. Die Astronomen hatten seit Wochen keinen Besucher gehabt und freuten sich, reden zu können.
    »Grumman? Ja, über den kann ich Ihnen etwas sagen«, meinte der Direktor. »Er war Engländer, trotz seines Namens. Ich erinnere mich –«
    »Mitnichten«, unterbrach ihn sein Stellvertreter. »Er war Mitglied der Kaiserlichen Deutschen Akademie. Ich lernte ihn in Berlin kennen, und ich bin mir sicher, dass er Deut  scher war.«
    »Meines Wissens war er Engländer«, beharrte der Direktor. »Jedenfalls sprach er perfekt Englisch. Aber zugegeben, er war sicherlich Mitglied der Berliner Akademie. Er war Geologe …«
    »Da irren Sie«, sagte jemand anders. »Er beschäftigte sich zwar auch mit der Erde, aber nicht als Geologe. Ich unterhielt mich einmal länger mit ihm. Wahrscheinlich müsste man ihn einen Paläoarchäologen nennen.«
    Sie saßen zu fünft um einen Tisch in einem Zimmer, das zugleich als Aufenthaltsraum, Wohn- und Esszimmer, Bar, Hobbyraum und alles Mögliche diente. Zwei von ihnen waren Moskowiter, einer Pole, einer Yoruba und einer ein Skräling. Lee Scoresby merkte, dass die kleine Gemeinschaft sich freute, einen Besucher zu haben, und sei es nur, weil er Abwechslung in ihre Gespräche brachte. Zuletzt hatte der Pole gesprochen und jetzt unterbrach ihn der Yoruba.
    »Was soll das sein, ein Paläoarchäologe? Archäologen beschäftigen sich doch schon mit alten Sachen; wozu dann noch ein Wort davorsetzen, das auch alt bedeutet?«
    »Weil sein Forschungsgegenstand viel weiter zurückreicht, als man sonst annehmen würde, nur deshalb«, erwiderte der Pole. »Er suchte nach Überresten von Zivilisationen, die zwanzig- bis dreißigtausend Jahre alt

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