Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
Vom Netzwerk:
rechtzeitig flach auf den Boden gelegt, und so verfehlten die Klauen der Eule sie knapp. Hester konnte kämpfen; auch ihre Krallen waren scharf, und sie war tapfer und zäh. Lee wusste, dass auch der Skräling in der Nähe sein musste, und langte nach dem Revolver an seinem Gürtel.
    »Hinter dir, Lee«, sagte Hester, und Lee sprang herum und duckte sich. Ein Pfeil zischte über seine Schulter.
    Er feuerte ohne zu zögern. Der Skräling fiel zu Boden und stöhnte, die Kugel hatte ihn ins Bein getroffen. Im nächsten Augenblick kam die Eule auf lautlosen Schwingen herangeflogen und landete ungeschickt und kraftlos neben dem Verwundeten; halb auf dem Schnee liegend, versuchte sie die Flügel zusammenzulegen.
    Lee Scoresby hob die Pistole und hielt sie dem Mann an den Kopf.
    »Geschieht dir recht, du Narr«, sagte er. »Wozu hast du das getan? Kapierst du nicht, dass wir jetzt, wo das mit dem Himmel passiert, alle im selben Boot sitzen?«
    »Zu spät«, sagte der Skräling.
    »Zu spät wofür?«
    »Zu spät, um ihn zurückzurufen. Ich habe bereits einen Vogel als Boten losgeschickt. Das Magisterium wird von deinen Fragen erfahren, und es wird froh sein zu erfahren, dass Grumman –«
    »Was ist mit ihm?«
    »Dass Grumman von anderen gesucht wird. Das bestätigt, was wir dachten. Und dass auch andere vom Staub wissen. Du bist ein Feind der Kirche, Lee Scoresby. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen, an ihren Fragen die Schlange sehen, die an ihren Herzen nagt …«
    Die Eule rief leise und hob und senkte ihre Flügel in krampfartigen Anfällen, und ihre leuchtenden Augen wurden glasig vor Schmerzen. Im Schnee um den Skräling breitete sich ein roter Fleck aus. Lee sah auch im Dämmerlicht des Nebels, dass der Mann im Sterben lag.
    »Wahrscheinlich hat die Kugel eine Arterie getroffen«, sagte er. »Lass meinen Ärmel los, und ich binde sie ab.«
    »Nein!«, sagte der Skräling heiser. »Ich will sterben! Die Krone des Märtyrers gehört mir! Du kannst sie mir nicht nehmen!«
    »Dann stirb, wenn du willst. Sag mir nur eins –«
    Aber er konnte die Frage nicht mehr beenden, denn mit einem letzten, gequälten Zittern verschwand der Eulendæmon. Der Skräling hatte seine Seele ausgehaucht. Lee hatte einmal ein Gemälde gesehen, auf dem ein Heiliger der Kirche von Mördern angegriffen wurde. Während sie auf seinen sterbenden Leib einschlugen, wurde der Dæmon des Heiligen von Engeln emporgetragen und bekam zum Zeichen seines Martyriums einen Palmzweig gereicht. Auf dem Gesicht des Skrälings lag jetzt derselbe verklärte, Vergessen herbeisehnende Ausdruck wie auf dem Gesicht jenes Heiligen. Ange  widert ließ Lee ihn los.
    Hester schnalzte mit der Zunge.
    »Wir hätten daran denken sollen, dass er einen Boten schicken würde«, sagte sie. »Nimm seinen Ring.«
    »Warum sollte ich? Wir sind doch keine Diebe!«
    »Nein, aber Abtrünnige«, sagte Hester. »Nicht willentlich, sondern durch seine Bosheit. Wenn die Kirche erfährt, was hier passiert ist, sind wir sowieso erledigt. Bis dahin müssen wir jeden Vorteil nutzen. Los, nimm den Ring und stecke ihn ein, vielleicht können wir ihn ja noch gebrauchen.«
    Das leuchtete Lee ein und er zog den Ring vom Finger des Toten. Er spähte in das Dämmerlicht, und als er sah, dass der steinige Boden neben dem Pfad steil abfiel und sich im Dunkel verlor, rollte er die Leiche des Skrälings über den Rand. Es dauerte lange, bis er den Aufprall hörte. Lee hatte Gewalt nie gemocht und er verabscheute es, zu töten, obwohl er es schon dreimal hatte tun müssen.
    »Mach dir keine Gedanken«, sagte Hester. »Er hat uns keine andere Wahl gelassen und wir wollten ihn ja nicht tö  ten. Verdammt noch mal, Lee, er wollte sterben. Das sind doch Verrückte.«
    »Wahrscheinlich hast du Recht«, sagte Lee und steckte die Pistole weg.
    Als sie am Fuß des Berges ankamen, hatte der Fahrer die Hunde bereits angeschirrt und war bereit, loszufahren.
    »Umaq«, sagte Lee auf dem Rückweg zur Fischverpackungsstation, »hast du je von einem Mann namens Grumman gehört?«
    »Natürlich«, sagte der Fahrer. »Jeder kennt Dr. Grumman.«
    »Wusstest du, dass er einen tatarischen Namen hatte?«
    »Nicht tatarisch. Du meinst Jopari? Nicht tatarisch.«
    »Was geschah mit ihm? Ist er tot?«
    »Wenn du wissen willst, ich muss sagen, dass ich nicht weiß. Also du nicht Wahrheit von mir bekommst.«
    »Verstehe. Wen kann ich dann fragen?«
    »Besser seinen Stamm fragen. Besser zu Jenissei gehen, dort

Weitere Kostenlose Bücher