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Das Magische Messer

Das Magische Messer

Titel: Das Magische Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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strampelten sich los, sprangen von dem Karren herunter und liefen dann wie die anderen Kinder angstvoll hin und her oder klammerten sich weinend aneinander, während die Gespenster die Erwachsenen angriffen. Die Alte auf dem Karren war bald in ein durchsichtiges Schimmern eingehüllt, das geschäftig hin- und herwaberte und auf eine unsichtbare Art fraß, so dass Ruta Skadi schon vom Zusehen übel wurde. Dasselbe Schicksal ereilte alle Erwachsenen der Gruppe mit Ausnahme der beiden Reiter, die geflohen waren.
    Fasziniert und zugleich abgestoßen flog Serafina Pekkala noch tiefer. Ein Vater mit seinem Kind hatte versucht, durch den Fluss zu entkommen, aber ein Gespenst hatte die beiden eingeholt, und während das Kind sich weinend auf dem Rücken des Vaters festhielt, blieb der Mann im hüfthohen Wasser stehen, gefangen und hilflos.
    Was geschah mit ihm? Serafina schwebte nur wenige Meter entfernt über dem Wasser und sah entsetzt zu. Von Reisenden ihrer eigenen Welt hatte sie die Legende vom Vampir gehört, und daran dachte sie jetzt, als sie das Gespenst gierig seine Mahlzeit hinunterschlingen sah – eine Mahlzeit, die of  fenbar aus irgendeiner Eigenschaft des Mannes bestand, seiner Seele oder vielleicht seinem Dæmon, denn in dieser Welt lebten die Dæmonen anscheinend in den Menschen, nicht außerhalb. Die Arme, die das Kind hielten, ließen los, und das Kind versuchte vergebens, die Hand des Vaters zu fassen, und fiel schreiend und weinend hinter ihm ins Wasser. Doch der Mann drehte nur langsam den Kopf und sah mit größter Gleichgültigkeit zu, wie sein kleiner Sohn neben ihm zu er  trinken drohte.
    Das war zuviel für Serafina. Sie flog hinunter und zog das Kind aus dem Wasser. Im selben Augenblick rief Ruta Skadi: »Vorsicht, Schwester! Hinter Euch –«
    Und Serafina fühlte für einen kurzen Moment eine grässliche Trägheit über sich kommen, dann ergriff sie Ruta Skadis Hand, die sie aus der Gefahr riss. Sie flogen höher, und das Kind klammerte sich schreiend an ihre Taille. Hinter sich sah Serafina, wie das Gespenst, eine über das Wasser wirbelnde Nebelschwade, nach der entrissenen Beute suchte. Ruta Skadi schoss einen Pfeil in die Schwade hinein, doch schien ihm das überhaupt nichts auszumachen.
    Serafina setzte das Kind auf dem Flussufer ab, da sie sah, dass ihm von den Gespenstern keine Gefahr drohte, und die Hexen zogen sich wieder in die Luft zurück. Der kleine Zug der Reisenden war jetzt endgültig zum Stillstand gekommen. Die Pferde rupften an dem Gras oder schüttelten die Köpfe, um die Fliegen loszuwerden, die Kinder brüllten oder klammerten sich stumm aneinander und beobachteten aus einiger Entfernung, was passierte, und die Erwachsenen waren er  starrt. Mit aufgerissenen Augen standen sie da oder hatten sich gesetzt, inmitten einer entsetzlichen Stille. Als das letzte Gespenst gesättigt weggeglitten war, flog Serafina wieder hinunter und landete vor einer im Gras sitzenden Frau, einer gesund und kräftig aussehenden Frau mit roten Wangen und glänzenden blonden Haaren.
    »Hallo?«, fragte Serafina. Keine Antwort. »Können Sie mich hören? Oder sehen?«
    Sie rüttelte die Frau an der Schulter, und mit einer ungeheuren Anstrengung blickte die Frau auf. Sie schien kaum zu bemerken, dass jemand vor ihr stand. Ihre Augen waren leer, und als Serafina sie in den Unterarm zwickte, senkte sie nur langsam den Blick und sah dann wieder weg.
    Die anderen Hexen streiften durch die verstreuten Wagen und betrachteten kummervoll die Opfer. Die Kinder hatten sich inzwischen in einiger Entfernung auf einer kleinen Anhöhe versammelt, starrten angstvoll zu den Hexen herüber und flüsterten aufgeregt miteinander.
    »Der Reiter beobachtet uns«, sagte eine Hexe.
    Sie zeigte zu einer höher gelegenen Stelle, wo die Straße durch einen Einschnitt in den Bergen führte. Der Reiter, der geflohen war, hatte sein Pferd angehalten und spähte mit der Hand über den Augen zu den Wagen zurück.
    »Lasst uns mit ihm reden«, sagte Serafina und schwang sich in die Luft.
    Wie immer der Mann sich angesichts der Gespenster verhalten haben mochte, er war kein Feigling. Als er die Hexen näher kommen sah, nahm er sein Gewehr vom Rücken und ritt einige Meter weiter, wo er wenden und sie schussbereit im offenen Gelände empfangen konnte. Doch Serafina Pekkala flog ganz langsam zu Boden, hielt ihren Bogen von sich weg und legte ihn dann vor sich hin.
    Ob die Menschen hier diese Geste kannten oder nicht, ihre Bedeutung

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