Das Mauerblümchen erringen (German Edition)
Ravensthorpe einen drohenden Blick zu, erntete aber nur ein friedfertiges Lächeln. „Wie ich sehe, muss ich mir keine Sorgen machen, und das ist ein Kompliment für Sie, Mr. Ravensthorpe. Es gibt andere Gentlemen, die nicht so heiter blicken würden, wenn ihnen ein Vermögen durch die Finger schlüpfte.“
Nach dieser völlig überflüssigen Bemerkung meinte Lucy ein wenig Gezwungenheit im Lächeln ihres Verlobten wahrzunehmen. „Glücklicherweise bin ich nicht auf das Vermögen anderer angewiesen“, machte er geltend.
„Ich habe gehört, dass Sie den Poleschen Familienbesitz erworben haben“, sagte Lady Summers. „Sie werden selbst ein begehrenswerter Fang sein. Wir müssen eine andere Frau für Sie finden, nun, da Miss Towerton Sie sitzengelassen hat.“
„Aber, Lady Summers, ich habe gewiss niemanden sitzenlassen“, warf Lucy ein.“
Lady Summers kicherte albern. „Ihr jungen Leute seid ja so vernünftig! Ich war zu meiner Zeit viel zögerlicher in solchen Dingen, aber alles verändert sich, wie es so schön heißt.“ Und damit verließ sie endlich das Zimmer und schloss die Tür.
7
Lucys Herz klopfte so stark, dass sie glaubte, man müsse es sehen. Dennoch schritt sie hocherhobenen Hauptes auf eine schmale Sitzbank zu, wobei sie mit voller Absicht eine Gruppe Stühle verschmähte. Sie wollte, dass Ravensthorpe neben ihr saß und nicht auf einem Stuhl gegenüber. Denn sie würde sich nicht über eine Entfernung hinweg in seine Arme stürzen können. Falls sie überhaupt den Mut aufbringen würde, ihren Plan in die Tat umzusetzen.
Doch nachdem sie Platz genommen hatte, sah sie, dass er stehen geblieben war und sie mit leichtem Stirnrunzeln betrachtete. „Mr. Ravensthorpe“, sagte sie und wies auf das Kissen neben sich. „Wollen Sie sich nicht setzen?“
Nun wirkte sein Gesicht nicht länger teilnahmslos, sondern eine Andeutung von Zorn war auf seinen Zügen erschienen. Wieder klopfte ihr Herz schneller. Vielleicht empfand er doch etwas für sie.
„Ich bin sicher, dass unser Gespräch nicht lange dauern wird“, sagte er.
Lucy verstand ganz genau, warum Ravensthorpe die Blicke der Frauen auf sich zog. Es war nicht nur sein hinreißend gutes Aussehen, sondern auch die Herausforderung, die er darstellte. Seine kühle Distanz, seine männliche Eleganz ... vermutlich hatten sie sich ihm zu Füßen geworfen, seit er sechzehn war.
„Bitte“, sagte Lucy so überzeugend wie möglich. Sie überlegte verzweifelt, was sie als Nächstes sagen sollte. Was sie tun sollte.
Endlich nahm er neben ihr Platz. „Ich nehme an, ich muss Ihnen zu Ihrer kürzlich gemachten Erbschaft gratulieren?“
„Ja.“
„Und nun wollen Sie mir gewiss sagen, dass Sie ...“
„Ich will wissen, warum Sie nie mit mir reden!“, platzte Lucy heraus.
Er räusperte sich. „Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht recht, Miss Towerton.“
„Wenn wir jemals vertraulich miteinander geredet hätten, dann hätte ich Sie gebeten, >Lucy< zu mir zu sagen.“
„Sie sind eine junge Dame“, äußerte er besorgt. „Ich möchte keinen Makel auf Ihrem Ruf verursachen, indem ich unschickliche Vertraulichkeit fördere.“
„Wir sind verlobt .“
„Das scheint mir kaum ein hinreichender Grund zu sein, um sämtliche Anstandsregeln zu missachten.“ Offenbar merkte er selbst, wie steif das klang. „Ich hoffe, Ihnen ist klar, dass meine Zurückhaltung nur auf meinem Sinn für Schicklichkeit beruht, Miss Towerton.“
„ Lucy! “
„Lucy.“ Nun klang er leicht erschrocken.
„Und ...“, drängte sie ihn.
Er schien ihr nicht folgen zu können.
„Darf ich Sie mit dem Vornamen anreden?“
„Selbstverständlich. Ich heiße Cyrus. Miss Tow— will sagen, Lucy, ich verstehe nicht ganz den Sinn dieses
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