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Das Maya-Ritual

Das Maya-Ritual

Titel: Das Maya-Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Dunne
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die ich von den beiden Pressluftflaschen erwarten durfte - genug, um mich an mein Ziel zu bringen, auch wenn ich dann ans Ufer zurückschwimmen musste.
    In dem Gebiet, in dem der Truppentransporter gewendet hatte, gab es sehr starke Strömungen, die durch den schmalen Kanal zwischen Cozumel und dem Festland flossen und durch eine dreitausend Meter tiefe Schlucht in die Karibik schossen. Ich tauchte irgendwann in der typisch kabbeligen See auf und sah etwa fünfhundert Meter voraus Wellen mit weißen Schaumkronen, die einander wie Stromschnellen um eine ölglatte runde Fläche im Meer jagten. Das war ein Anzeichen dafür, dass sich in der Strömung ein Trichter gebildet hatte, wie ein Whirlpool, nur breiter und tiefer - eine senkrechte Wassermasse, die sich schnell drehte.
    Ich war gerade über die Riffwand hinausgefahren, die sich aus den Tiefen des Ozeans erhob, und blickte hinab in den Abgrund, als mich eine nur allzu vertraute Gestalt erschreckte, die zu meiner Rechten drohend aus dem Meer ragte. Ich duckte mich automatisch, als ein drei Meter langer Riffhai auf mich zukam, dann aber vorüberglitt, offenbar galt sein Interesse nicht mir. Er war nur ein Ausreißer in einer Prozession verschiedener Haiarten, die in senkrechten Reihen an mir vorbeifluteten. Ich wendete den Scooter und folgte ihnen.
    Nach hundert Metern schwärmte der Zug fächerförmig aus, und ich erkannte, dass es sich um eine von mehreren Kolonnen der Räuber handelte, die aus verschiedenen Richtungen zusammenströmten, wie eine Vogelschar, die in mehreren Gruppen am Himmel kreist, bevor sie wie ein einziger Körper auf einem reifen Kornfeld niedergeht. Nur dass sich die Haie an den Toten gütlich taten.
    Gefangen in der kreiselnden Strömung, trieben Hunderte von menschlichen Leichen, manche in weißen Leichensäcken mit Reißverschluss, andere in Folien gehüllt; das Plastik war in Fetzen gerissen, der Stoff zerfiel in Lumpen, mehrere Mäuler mit scharfen Zähnen zerrten und rissen die Leichname darin gleichzeitig in Stücke, und das geronnene Blut quoll heraus wie rote Rauch und Aschewolken. Und die ganze Zeit sank diese Parade der Toten langsam kreiselnd hinab in den Hades, eine Szene wie ein maritimes Jüngstes Gericht.

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    Ich wendete den Scooter, um der rotierenden Strömung zu entfliehen, die sich mir näherte, ihre Ränder streiften bereits die Riffwand und drückten die weichen Korallen auf ihrem Weg platt. Gedanken, ich könnte von einem Hai gebissen werden oder mich in einem der Leichentücher verfangen, jagten mir durch den Kopf, und ich schaltete auf vollen Schub und floh über das Riff hinweg.
    Als ich einen Blick zurück auf die Leichen warf, die tiefer in den Abgrund sanken, fielen mir noch einige Zeilen aus dem Sturm ein, aus Ariels Lied.
    Fünf Faden tief liegt Vater dein. Sein Gebein wird zu Korallen Ich begann Shakespeares Vision dessen, was unter der tropischen See lag, zu teilen. Als ich nach unten blickte, schien sie das Aussehen eines Meeresfriedhofs anzunehmen, der seinen grausigen Inhalt zur Schau stellt - kugelförmige, gelbe Hirnkorallen, purpurne und orange Fächer, geädert wie Scheiben aufgeschnittener Lunge, rosa und lavendelfarbene Seegurken, klaffend wie durchtrennte Arterien.
    Perlen sind die Augen sein So hatte ich das Riff nie zuvor betrachtet. Und ich wusste auch, das Schauspiel, das ich soeben mit angesehen hatte, würde mich bis an mein Lebensende verfolgen.
    Nymphen läuten stündlich ihm Beinahe erwartete ich, eine mächtige Glocke durch die Tiefe schallen zu hören, die den Abstieg dieser vielen Toten in ihr nasses Grab verkündete.
    Nachdem ich das Riff überquert hatte, schaltete ich auf niedrigen Schub zurück. Da mir die Strömung ihre Todesfracht entgegengetragen hatte, schätzte ich, dass nach der Begegnung noch genug Batterieleistung im Scooter verblieben war, damit ich ans Ufer gelangte. Und tatsächlich näherte ich mich bereits der Bootsrutsche unterhalb des Tauchladens, als er den Geist aufgab.
    Sobald ich meine Taucherkluft abgelegt hatte, duschte ich heiß, um so das Gänsehautgefühl zu vertreiben, mit dem ich auf das Erlebnis reagierte. Dann rief ich, noch während ich mir die Haare abtrocknete, Sanchez auf seinem Handy an. »Ich habe gerade ein… Bild aus der Hölle gesehen«, sagte ich, und zu meiner eigenen Überraschung zitterte meine Stimme.
    »Was ist los? Wovon reden Sie?«
    »Ihre Marine führt gerade ein Massenbegräbnis der Seuchenopfer zu See durch. Lässt sie von Haien

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