Das mechanische Herz
Taya stützte die Ellbogen auf die Knie und starrte aus dem Fenster. „Da braucht ein Mann bloß daherzukommen und mich anzulächeln, und schon vergesse ich alles, was ich je über die menschliche Natur gelernt habe! Das ist doch grauenhaft!“
„Auch dir liegt viel an der Meinung anderer über dich.“
„Eigentlich nicht!“ Verlegen sah Taya zu Cristof hinüber, bemerkte seine skeptische Miene und warf ihm ein schuldbewusstes Grinsen zu. „Ihr habt recht, ein bisschen liegt mir schon daran. Ich möchte jedenfalls nicht, dass mich die Leute für blöd halten, und momentan komme ich mir ziemlich blöd vor.“
„Du bist nicht blöd.“ Cristof nahm seinen Stapel wieder auf. „Ich sag dir Bescheid, wenn du dich blöd anstellst.“
„Danke!“
„Ich revanchiere mich nur für einen Gefallen.“
„Na sowas!“, dachte sie. „Wer hätte das gedacht: Der Mann hat also doch Sinn für Humor.“
„Ihr klingt, als ginge es Euch schon etwas besser.“
„Arbeit ist immer eine gute Therapie.“ Cristof drehte einen Bogen um, wandte sich dem nächsten zu. Taya nickte und sah wieder aus dem Fenster, das leider so hoch angebracht war, dass sie die Gärten nicht sehen konnte, nur den Himmel und die Wolken. Gerade flog ein Vogel vorüber.
„Ikarierin?“
„Ja?“
„Ich habe keine Hintergedanken, ich verfolge keine geheimen Ziele. Ich plane auch nicht, meinen Charme einzusetzen – oder zu missbrauchen.“
Taya musste fast gegen ihren Willen lachen. Cristof verzog keine Miene.
„An dem Tag, an dem Ihr Euren Charme spielen lasst, werde ich wissen, dass etwas nicht stimmt!“
„Fein.“
Taya sah ihm zu, wie er so dasaß, konzentriert über seine Arbeit gebeugt. Noch immer erinnerte er sie an eine Krähe: mit dem zotteligen Schopf, der ihm jetzt noch dazu zu Berge stand, und dem langen schwarzen Mantel, den er auch hier im Haus nicht abgelegt hatte. Genau wie eine Krähe konnte er laut und spöttisch werden, war aber auch nicht ohne einen gewissen zynischen Sinn für Humor.
„Es ist schön, zu wissen, dass Euch etwas an meiner Meinung über Euch liegt“, meinte sie nachdenklich. „Bis jetzt hat Euch das noch nicht ein einziges Mal dazu gebracht, etwas Dummes zu tun.“
Verwundert sah er auf. Er brauchte eine Weile, um zu verstehen, wie sie das gemeint haben könnte. Als der Groschen gefallen war, runzelte er die Stirn.
„Weitere ungerechtfertigte Anschuldigungen vermeiden zu wollen ist nicht dasselbe, wie sich um ...“
„Seid vorsichtig, Erhabener. Ihr redet Euch da gerade um Kopf und Kragen!“
„Bist du mit deinen Papieren schon durch?“, erkundigte er sich spitz, indem er die Nase wieder in seinen eigenen Stapel steckte.
Die Sonne hing schon tief zwischen den Bergen, als die beiden Casters Arbeitszimmer verließen. Unten im Foyer schnallte sich Taya ihre Flugausrüstung um.
„Habt ihr etwas Ungewöhnliches entdecken können?“ Viera war gekommen, um sich von ihren Gästen zu verabschieden, einen verschlafenen Ariq auf dem Arm. Leises Stimmengemurmel aus dem Salon ließ erahnen, dass noch weitere Gäste anwesend waren.
„Eine Liste der im Rat anstehenden Abstimmungen mit jeweils einem Vermerk, wie Caster zu votieren gedachte, und ein besseres Verständnis dafür, was für ein Mann er war.“ Cristof nahm Vieras Hand und hielt sie einen Moment lang fest. „Caster hat alles, womit er es zu tun bekam, sorgfältig durchdacht und sich umfassend informiert. Ich bin beeindruckt.“
„Ich wünschte, ihr hättet euch besser gekannt.“ Seufzend beugte sich Viera vor und drückte Cristof einen Kuss auf die hagere Wange. „Viel Glück. Ich bin immer noch wütend auf dich, aber trotzdem: Sieh dich vor. Lass nicht zu, dass man mir noch einen lieben Menschen nimmt.“
„Dafür sorge ich.“ Cristof erwiderte den Kuss und trat zurück, damit Viera auch Taya drücken konnte. Ariq wurde es ungemütlich, er wand sich in den Armen seiner Mutter.
„Pass auch du auf dich auf“, bat Viera die Ikarierin.
„Natürlich.“ Taya sah Ariq an, der unverwandt zu ihr aufstarrte, die Wange fest an die Schulter seiner Mutter gedrückt. „Auf Wiedersehen, Ariq. Ich komme dich bald wieder besuchen.“
Stumm gingen die beiden die Auffahrt des Anwesens hinunter. Als sie auf die Straße traten, fegte ein kalter Windstoß vorbei. Lange Schatten erstreckten sich über die Pflastersteine.
„In der Verteilerstelle wissen sie, dass ich mit Euch zusammenarbeite. Ich brauche mich nicht zurückzumelden.“ Taya warf
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