Das mechanische Herz
Klippe fegte. In einigen der höheren Häusergiebel nisteten Falken, von den Ikariern willkommen geheißen, da sie als glücksbringend galten, auch wenn sie zur Jagd auf die Hunde und Katzen der Nachbarschaft tendierten. Von Zeit zu Zeit flog hoch über ihnen mit glitzernden Metallschwingen ein Ikarier auf dem Weg zu den Landebahnen hinweg.
Die Drei Alkiden gehörte zu einer Reihe barackenähnlicher Horste, in denen die unverheirateten Ikarier wohnten. Immer häufiger begegnete Taya nun Freunden, denen sie zum Gruß fröhlich zuwinkte.
„Hallo, Taya!“, rief ihr einer der Ikarier schon von der Veranda ihres eigenen Horstes aus zu, ehe ihm beim Anblick von Cristofs nacktem Gesicht kurzzeitig die Stimme versagte. Nur mit Mühe konnte er sich davon losreißen. „Für dich ist noch ein Schreiben gekommen. Es liegt bei Gwen.“
„Danke.“ Taya stieß die Tür auf und trat beiseite, um ihren Begleiter vorbeizulassen. Der zeigte wieder die altvertraute unbewegliche Miene und hielt den Kopf gesenkt, als er sich an dem Ikarier auf der Veranda vorbeischob.
Taya musterte ihn besorgt. „Ihr hättet nicht zu kommen brauchen!“, flüsterte sie, aber Cristof, der die große Wanduhr in der Ecke der Eingangshalle entdeckt hatte, ging nicht auf diese Bemerkung ein.
„Du hast gesagt, du würdest jetzt gleich zum Arzt gehen.“ Er stellte seine Tasche neben der Uhr ab.
„Einen Augenblick noch.“ Taya trat ins Empfangszimmer, in dem Gwen Ikara, Wirtin und Hausdame des Horstes, ihren Sekretär stehen hatte.
Gwen war auch da. „Gut, dass du kommst“, begrüßte sie Taya, indem sie aus der Unordnung auf ihrem Schreibtisch ein schweres Pergamentrechteck hervorkramte. „Ich habe ein Schreiben für dich.“ Unschlüssig drehte Taya den Brief in ihren Händen. Auch dieses Schreiben war versiegelt, aber lange nicht so reich verziert, wie es die Einladung aus dem Hause Octavus gewesen war.
„Ich habe einen Uhrmacher gebeten, einen Blick auf unseren Chronometer zu werfen und uns zu sagen, warum er immer nachgeht“, sagte Taya, indem sie aufsah. „Er sagt, fürs bloße Ansehen berechnet er nichts.“
Gwen verzog das Gesicht. „Kann man ihm trauen?“ Leise stöhnend stemmte sie sich aus ihrem Ohrensessel hoch. Seit sie Jahre zuvor aus Altersgründen das Fliegen aufgegeben hatte, hatte sie einige Pfunde zuviel auf den Rippen, obwohl man sagen musste, dass sich Fett und Muskeln immer noch gut die Waage hielten.
„Ja.“ Taya beugte sich vor. „Er ist ein geächteter Erhabener“, flüstere sie, indem sie Gwen warnend die Hand auf den Arm legte. „Nur, damit du dich nicht wunderst!“
„Ein Geächteter!“ Die Hausdame riss die Augen auf. „Um der Herrin Willen! Was hast du dir dabei gedacht? Einen Geächteten in mein Haus zu schleppen! Ich führe doch kein ...“
Taya packte fester zu. „Ein geächteter Erhabener, Gwen! Der Erhabene Cristof Forlore, und er tut uns einen Gefallen. Sein Bruder ist Dekatur.“
Gwen schnaubte verächtlich. „Du fliegst ja ganz schön hoch, Ikarierin.“
„Nicht in diesem Fall“, bemerkte Taya trocken, die an Cristofs Kellerladen denken musste. „Aber er ist ziemlich empfindlich, sei also bitte diplomatisch, ja?“
„Takt ist deine Sache, nicht meine“, gab Gwen zurück. „Lass mich los. Ich werfe ihn nicht raus, aber du kennst die Regeln – kein Fremder allein im Horst. Die Herrin mag wissen, wie es hier aussähe, wenn ich euch machen ließe, was ihr wollt.“
Seufzend heftete sich Taya an die Fersen der korpulenten Frau.
„Was tut Ihr da?“, schrie diese auf, sobald sie die Eingangshalle betreten hatte.
Cristof hatte den Mantel abgelegt und sich mit aufgekrempelten Hemdsärmeln vor den Chronometer gekniet, dessen Pendel er gerade aushängte. Er musterte Gwen mit einem kurzen Blick über die Schulter, ehe er sich wieder seiner Arbeit zuwandte.
„Ohne mir den Mechanismus anzusehen, kann ich nicht feststellen, was das Problem ist.“
„Ich bezahle Euch nicht dafür, dass Ihr wieder zusammenbaut, was Ihr demontiert habt!“
„Das verlange ich auch nicht.“ Cristof legte das Pendel auf den Holzfußboden und drehte sich um. Er warf Taya einen scharfen Blick zu. „Wolltest du nicht irgendwo hin?“
„Schon gut! Kann ich Euch allein lassen?“ Taya sorgte sich wegen Gwen, die trotz der Vorwarnung Cristofs Kastenzeichen mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Die Wirtin war eine fürsorgliche, mütterliche Frau, aber Diskretion gehörte nicht gerade zu ihren
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