Das mechanische Herz
erfahren. Nach nur fünf Stunden Schlaf musste Taya jetzt auf das heiße, bittere Getränk vertrauen und hoffen, dass ihr nicht bei der Arbeit die Augen zufielen. „Komm schon!“, drängte sie Pyke. „Du kennst die Frau, das sehe ich dir an der Nasenspitze an.“
„Ja. Sie besucht dieselben Treffen wie ich, die der Gruppe Forschung und Freiheit.“ Pyke klang immer noch argwöhnisch.
„Bei allen Geistern, ich fasse es nicht! Dass dich der Rat nicht schon längst aus dem Horst geworfen hat!“ Kopfschüttelnd strich Cassi Marmelade auf ihr Frühstücksbrötchen. „F&F? Ist das nicht eine dieser reaktionären Gruppen?“
„Du hast doch keinen Schimmer von Politik!“ Pyke warf Cassi einen unwilligen Blick zu. „F&F ist eine Gruppe, die sich für freien Handel einsetzt. Wusstet ihr, dass Ondinium eine zehnprozentige Importsteuer auf Gewürze aus Si’sier erhebt, aber wenn ...“
„Pyke. Bitte. Lass gut sein!“ Cassi hob abwehrend die Hände. „Das ist mir völlig egal! Du wärst viel leichter zu ertragen, wenn du dir ein anständiges Hobby zulegtest. Dart spielen zum Beispiel.“
„Du magst Männer, die Dart spielen?“, erkundigte sich Pyke verblüfft.
„Das war nur ein Beispiel! Obwohl ich ziemlich gut Dart spiele.“
„Hallo? Pins?“ Energisch schob Taya den Kopf zwischen die beiden Streithähne. „Bitte, Pyke, ihre Adresse! Ich mache der Frau schon keine Scherereien.“
„Wer garantiert mir das? Du treibst dich ja jetzt mit Erhabenen und Dekaturen rum, weiß ich denn, dass die dich nicht längst als Spion benutzen?“
Taya verdrehte die Augen.
„Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Die Erhabenen, mit denen ich mich herumtreibe, wie du so schön sagst, haben mich gewarnt. Sie finden die Frau gefährlich, und ich soll mich von ihr fernhalten. Ich will ihr nur ein paar Fragen stellen, mehr nicht. Dann lasse ich sie wieder in Ruhe. Ich sage auch niemandem, dass ich bei ihr war, und ich verrate nicht, von wem ich die Adresse habe.“
„Gefährlich?“ Pyke strich sich nachdenklich übers Kinn. „Ich wusste nicht, dass sie gefährlich ist.“
„Pyke!“
„Taya! Geh zur Verteilerstelle und schlag die Adresse nach!“ Cassi verdrehte die Augen. „Das geht auf jeden Fall schneller, als aus unserem großen, dunklen Paranoiker hier irgendeine Info herauszuleiern.“
„Ich bin nicht paranoid, ich bin wachsam.“ Pyke runzelte die Stirn. „Die Adresse dürfte wirklich kein Geheimnis sein. Pins hat unten an der Ecke Operand und Kaskaden einen Kupferwarenladen. Du kannst ihn nicht verfehlen, im Schaufenster steht ein großer Kessel aus getriebenem Kupfer.“
„Danke.“ Taya trank ihren Tee aus. „Aber jetzt erst mal an die Arbeit. Kommt ihr auch?“
Bei den Landebahnen zogen Cassi und sie in der Frauenumkleide die Fliegeranzüge an und schnallten sich ihr Geschirr um. Dann reihten sie sich in der Schlange der anderen Ikarier ein, die alle vor der Stechuhr der Verteilerstelle warteten. Taya gab noch rasch ein Dankesschreiben ab, das zum Anwesen der Familie Octavus gebracht werden sollte.
„Schön, dass ihr zwei heute auch mal wieder mit dabei seid!“, begrüßte sie der Dienststellenleiter trocken, als sie ihre Stempelkarten am Brett aufhängten. „Genug Verkleiden gespielt?“
„Sei du lieber höflich!“, warnte Cassi. „Unsere Taya hier hat hochgestellte Freunde.“
„Klar doch, und wie hoch – ich kriege schon Nasenbluten, wenn ich sie nur anschaue.“ Der Dienstellenleiter übergab ihnen die Säcke mit der Post, die sie an diesem Morgen austragen sollten. „Sicheren Flug, die Damen. Es ist kalt und klar, aber später melden sich die Diispirawieder, passt also auf eure Schwanzfedern auf.“
„Wird gemacht.“ Taya nahm ihren Sack und fing an, ihn durchzusehen, während Cassi und sie das warme Büro verließen und sich in die Schlange vor den Start- und Landebahnen einreihten. Das waren lange Stege aus Holz und Eisen, die sich weit über die Klippen hinaus erstreckten und von denen aus man sich im freien Fall in den Wind werfen konnte.
Die Morgenbrise zerrte an ihren Fittichen, Sonnenlicht verwandelte die steilen Berggipfel um sie herum in ein warmes Gold. Links von ihnen beschäftigte sich eine Gruppe von Sieben- bis Achtjährigen mit Aufwärmübungen, wobei ihre Sprünge und Hampelmänner dank der Trainingsflügel ein wenig höher ausfielen als bei gewöhnlichen Sporttreibenden. Taya musste an Ariq denken. Sie grinste.
„Ich muss nach Sekundus.“ Cassi hatte ihren
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