Das mechanische Herz
Stimme. „Du hast dieses magere Mädchen doch auch gehört: Alister hat das alles nur gesagt, um sich dein Vertrauen zu erschleichen. So, wie er es mit allen gemacht hat.“
Taya schreckte zurück. Genau das hatte sie die ganze Zeit auch gedacht und war dabei fast verrückt geworden – noch schlimmer war es jetzt, die eigenen Überlegungen aus dem Mund eines anderen zu hören.
„Das könnt Ihr doch gar nicht wissen!“, widersprach sie hitzig, wobei sie nicht nur Cristof, sondern mehr noch sich selbst überzeugen wollte. Ärgerlich wischte sie sich das Gesicht ab. War ihr eben eine Träne über die Wange gerollt? „Was Emelie gesagt hat, war garstig. Alister war charmant, liebenswürdig und ehrlich!“
Cristof drehte sich um und sah, wie sich Taya das Gesicht mit dem Ärmel ihres Fliegeranzugs abwischte.
„Nicht!“, befahl er streng. „Nicht weinen, Ikarierin!“
„Ich kann nichts dagegen machen!“ Taya schniefte, die Tränen flossen jetzt in Strömen. „Ich kann einfach nicht glauben, dass er tot sein soll – und Octavus! An einem einzigen Tag habe ich zwei neue Freunde verloren.“
„Braucht ihr beiden Hilfe?“, erkundigte sich Lars besorgt vom Tisch her.
„Findet ihr bloß raus, was auf den verdammten Karten steht“, fuhr Cristof ihn an.
Tapfer schluckte Taya die Tränen hinunter. Sie war wütend auf sich – wie hatte sie hier, vor all den Fremden, zusammenbrechen können? Eigentlich hatte sie fest darauf gezählt, es noch bis nach Hause zu schaffen, ehe der Kummer sie überwältigte.
Cristof fischte ein Taschentuch aus einer seiner vielen Manteltaschen, das er ihr in die Hand drückte, ehe er sich die Brille abnahm. „Geister! Könntest du bitte aufhören?“
Taya sah auf. Da – sie hatte ihn angesteckt, genau wie sie vorhin in der Gastwirtschaft befürchtet hatte. Sie wischte sich die Augen trocken und gab ihm das Taschentuch zurück.
„Das ist ja nass“, beschwerte er sich.
Sie gab einen erstickten Laut von sich, halb Lachen, halb Weinen.
„Wenn Ihr ein trockenes Taschentuch wollt, hättet Ihr anfangen müssen“, sagte sie mit zittriger Stimme.
„Ich hatte überhaupt nicht die Absicht, anzufangen!“ Ungehalten rieb sich Cristof über das Gesicht.
Taya zupfte ihm das Taschentuch aus den Fingern, um sich die Nase zu putzen.
„Trauer ist menschlich, gehört zum Menschsein dazu.“ Sie holte tief Luft. „Ich wette, selbst Erhabene weinen, wenn sie einen Bruder verlieren.“
Cristof fuhr sich mit allen zehn Fingern übers Gesicht, bis ihm seine Brille schief auf der Nase baumelte, und trat ein paar Schritte zur Seite. Taya presste sich die Faust gegen den Mund. Nun hatte sie ihn nur noch mehr verwirrt! Heiße Tränen rannen ihr über die Wangen, sie weinte um Alister, um Cristof, um sich. Merkwürdigerweise sehnte sie sich gerade jetzt so sehr nach Alister, wünschte von Herzen, sie hätte sich in ihrem Elend an ihm festhalten können. Schluchzend kauerte sie sich hin, kümmerte sich nicht um die Flügel, die besorgniserregend über den Boden schleiften, vergrub das Gesicht in den Händen und ließ den Tränen freien Lauf.
Wenig später war Cristof wieder bei ihr. Er ließ sich neben sie auf die Knie fallen, schob ihr das Haar aus dem Gesicht, streichelte mit kühlen Fingern ihre erhitzte Stirn.
„Bitte, hör auf zu weinen. Alister würde nicht wollen, dass du um ihn weinst.“
Schniefend sah sie zu ihm auf. Cristof hatte sich die Brille wieder aufgesetzt, aber man sah seine geröteten Augen trotzdem.
„Sieh dir seine Kollegen an, die wissen das. Alister hätte ihre Art der Totenwache zu schätzen gewusst.“ Cristof wischte ihr eine Träne von der Wange. „Für Trauer hatte er nie viel übrig.“
„Nie?“ Taya schüttelte seine Hand ab und rieb sich die Augen.
„Nach der Beerdigung unserer Eltern habe ich ihn nie wieder weinen sehen.“ Cristof musterte sie prüfend. „So ist es schon besser!“
„Nein.“ Taya holte tief Luft. Sie warf einen Blick über die Schulter auf die Programmierer, die sich alle Mühe gaben, die beiden bekümmerten Gestalten in der Ecke zu ignorieren. „Glaubt Ihr, Alister war manipulativ?“
„Geister!“ Cristof kniff die Lippen zusammen. „Was verstehst du unter manipulativ?“ Er seufzte. „Mein Bruder mochte fähige, intelligente Frauen. Es würde mich nicht wundern, wenn er Dinge gesagt hätte, nur um dich zu beeindrucken. Aber das tun die meisten Männer. Ist das jetzt normal oder Manipulation?“
„Danke!“ Taya rang
Weitere Kostenlose Bücher