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Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben

Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben

Titel: Das Meer der Seelen Bd. 1 - Nur ein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Meadows
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Kalksteinstatuen, die verstreute Grabsteine anstarrten, und Steinbänken mit Seiten und Rückenlehnen aus Metall. Als es wärmer wurde, schmolz der Schnee von den feierlichen Gesichtern der Statuen wie Tränen.
    Ich konnte mir vorstellen, wie dieser Ort im Frühling oder im Sommer aussah, wenn bunte Blumen oder Ranken über
die Ränder der riesigen Steinschalen hingen, Glyzinien an den Mauern und Grabsteinen emporkrochen oder Herbstlaub auf den Wegen lag. Es herrschte eine melancholische Schönheit, eine alte und erschöpfte Stille. Einige der Statuen spielten Instrumente – eine Frau mit einer Flöte, ein Mann mit einer Harfe –, so als hätte der Bildhauer sie zwischen zwei Tönen eingefangen. Ein steinerner Elch graste am hinteren Ende des Friedhofs, während zwei Streifenhörnchen in einer ewigen Balgerei festgehalten waren. Die Stille war unheimlich.
    »Was ist das hier alles?«, fragte ich, als wir an einem Rankgitter aus Eisenstäben vorbeikamen, die wie Blumen und Blätter geformt waren. Frost glitzerte. »Wer ist hier begraben?«
    Sam senkte den Kopf. »Ich.«
    Ich konnte seinen Tonfall nicht deuten, aber ich wäre traurig gewesen, wenn dies meine Gräber gewesen wären.
    Rabenbekrönte Obelisken bewachten die Mitte des Friedhofs, eine verschneite Steinplatte, die von Goldadern durchzogen war. Eine Inschrift war in den Kalkstein gemeißelt worden, aber Eis und Schnee verdeckten die Worte. Sam führte mich um die Platte herum.
    »Was ist das hier?«
    »Mein erstes Grab. Die ursprünglichen Materialien zerfielen, wie es nach einigen tausend Jahren normal ist. Ich wollte mich nicht selbst wieder ausgraben, aber ich wollte auch nicht vergessen, wo diese Stelle ist.«
    Also war jeder für seinen eigenen Friedhof verantwortlich. »Warum altes Fleisch ehren, wenn du ohnehin zurückkommst?« Die Konzentration auf etwas anderes lenkte mich von den Schmerzen ab, aber alle paar Schritte bekam ich einen Schwindelanfall und musste stehen bleiben.
    »Es ist weniger eine Ehrung alten Fleisches als eine Würdigung vergangener Leben, vergangener Leistungen. Es ist eine
Art der Erinnerung. Wenn man so lange gelebt hat, dann vergisst man leicht, was wann geschah. Nicht jeder gibt sich so viel Mühe mit seinem Friedhof, aber viele tun auch noch mehr. Ich weiß nicht, aus welchen Gründen die anderen einen Friedhof haben, ich kenne nur meine Gründe.«
    Für einen Moment fragte ich mich, was Li mit ihren früheren Körpern getan hatte. Wahrscheinlich ließ sie sie liegen, wo sie hinfielen. Aber ich brauchte nicht länger über sie nachzudenken.
    »Hast du Angst, deine Leistungen zu vergessen?« Ich suchte den verschneiten Friedhof nach einem Hinweis darauf ab, was dies für Leistungen gewesen sein mochten, aber ich konnte nur Tod sehen. »Kannst du mir von ihnen erzählen?«
    »Ich führe Tagebücher. Das tun die meisten Menschen, dann geben sie sie der Bibliothek des Rathauses, damit die Archivare sie kopieren und abspeichern. Du kannst sie lesen, wenn du möchtest.« Er wies mir den Weg zu einem anderen Pfad, der zu dem hinteren Tor führte, schwarzes Metall vor Weiß und Grün und Braun.
    Die versprochene Hütte stand im Schutz von Tannen. Sie war kleiner als das Purpurrosenhaus, aber sie hatte Fenster mit Vorhängen und einen Schornstein. Sie sah gemütlich aus. »Schläfst du gerne neben deinen Leichen?«
    Sein Kichern bildete Wölkchen in der Luft. »Es ist ein weiter Weg von der Stadt jeden Morgen, nur um an einer Statue zu arbeiten.«
    »Dann hast du diese ganzen Statuen gemacht?«
    »Die meisten.« Er drückte das Tor auf und ließ mich passieren. »Gestern war die letzte Nacht meiner Reise von Heart hierher. Ich arbeite gern im Winter. Es ist still. Friedlich.«
    »Tut mir leid, dass ich deine Pläne durcheinanderbringe.« Die Verbände um meine Hände wogen eine Tonne.

    Er zuckte nur die Achseln. »Dafür ist später noch eine Menge Zeit. Es kommt nicht oft vor, dass ich jemand Neues kennen lerne.« Er wandte sich ab, aber ich sah noch, wie er zusammenzuckte. Zumindest wusste er, dass er dumme Dinge sagte. »Lass uns reingehen.«
    »Was ist mit Zottel?«
    »Er wird hinten am Stall warten. Ich werde ihn für die Nacht versorgen.« Sam schob einen Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür.
    Während er sich um Zottel kümmerte, erkundete ich die Hütte. Wie erwartet war sie klein und staubig, aber die Risse in den Holzvertäfelungen entpuppten sich bei näherem Hinsehen als eingeritzte Tiere, die im Reich

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