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Das Meer Der Tausend Seelen

Das Meer Der Tausend Seelen

Titel: Das Meer Der Tausend Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan , Catrin Frischer
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Dorf zu kommen, ob sie uns eventuell schon gefunden haben.
    Ich nehme in jede Hand einen Stein, ducke mich und warte. Der Schatten wird noch vor dem Mann sichtbar, der um einen Knick im Pfad biegt. Ich halte den Atem an.
    »Catcher!«, keuche ich, erleichtert, sein vertrautes Gesicht zu sehen und zu wissen, dass ihm nichts zugestoßen ist.
    Er bleibt stehen und sieht mich an. Nach einem kurzen Moment des Zögerns erkennt er mich, dann geht ein Lächeln über sein Gesicht: »Gabry«, sagt er.
    Ich stürze auf ihn zu, doch ehe ich nah genug komme, um ihn zu berühren, taumelt er. Irgendetwas stimmt nicht. Ich will ihn stützen, aber er streckt die Hand aus und schubst mich weg.
    »Catcher, was …«, beginne ich. Aber da bemerke ich die blutigen Kratzer an seinen Armen.
    Irgendwo tief in mir regt sich die Furcht. Noch mal mache ich einen Schritt auf ihn zu, aber er sagt: »Lass das« – und ich bleibe, wo ich bin.
    Er senkt den Kopf, seine Kiefermuskeln arbeiten.
    »Geh zurück zu den anderen, Gabrielle.« Seine Stimme ist heiser.
    »Nein«, erwidere ich unruhig vor Sorge. »Erst musst du mir sagen, was los ist.« Ich balle die Fäuste, bohre die Fingernägel in die Handflächen, wünschte, ich hätte die Steine nicht fallen lassen. Was, wenn die Ansteckung nun von ihm Besitz ergreift? Was, wenn er sich nun wandelt? Was, wenn das nicht sein Blut ist, sondern das eines anderen?
    Er schüttelt den Kopf und schwankt wieder.
    Sofort bin ich bei ihm und stütze ihn. Er versucht mich wegzustoßen, doch er ist zu schwach. »Gabry, bitte«, sagt er. »Nicht.«
    In dem Moment, in dem er in die Knie geht, ergreife ich seinen Arm. An seinem Rücken hat er noch mehr Kratzwunden, sein Hemd ist zerfetzt.
    »Was ist passiert?« Ich versuche, mir meine Sorge nicht anmerken zu lassen. Damit ich besser sehen kann, beuge ich mich über seine Schulter, doch er schubst mich wieder weg.
    »Catcher, du bist verletzt«, sage ich. Ich verstehe nicht, warum er mich andauernd wegdrängt. »Was ist passiert?«
    Er schaut mich an, der Schmerz verschleiert seinen Blick. »Ich weiß«, antwortet er leise. »Bin durch den Wald gelaufen – Brombeeren«, murmelt er. »Äste.« Er blinzelt ein paarmal, als hätte er Schwierigkeiten zu fokussieren. Schweiß tropft ihm übers Gesicht und am Hals hinunter. Er wirkt ausgezehrt, seine Handgelenke sind zu dünn.
    »Hast du gegessen? Getrunken?«, frage ich. Er schüttelt den Kopf. »Catcher«, sage ich in einem Ton, der zwischen Verzweiflung und Empörung schwankt. »Du musst auf dich aufpassen. Ich kümmere mich um diese Wunden.«
    Ich weiß nicht, was mit ihm geschieht, wenn er zu viel Blut verliert – die Angesteckten wandeln sich immer, wenn sie sterben, und ich muss davon ausgehen, dass es bei Catcher nicht anders sein wird. Wenn er stirbt, wird er wiederkehren. Ich habe keine Ahnung, wie lange er schon hungert, aber er wirkt schwach und schwindelig. Genau so habe ich Cira im Rathaus vorgefunden. Ich presse die Lippen aufeinander, als mir aufgeht, wie gefährlich Catcher jetzt gerade sein könnte.
    »Nein«, flüstert er. »Ich bin angesteckt, Gabrielle. Begreifst du das denn nicht. Ich werde nicht zulassen, dass du mit meinem Blut in Berührung kommst. Ich werde nicht riskieren, dass du dich infizierst.«
    Ich kneife die Augen zusammen. »Aber du weißt nicht, ob das überhaupt etwas macht«, sage ich. »Eine Menge Leute waren angesteckt und haben ihr Blut auf andere Menschen übertragen – und es ist nichts passiert.« Ich denke an den Jungen im Amphitheater, der sich den Soulers geopfert hat. Er hat geblutet, und die Souler-Frau hat ihn trotzdem berührt.
    »Das ist etwas anderes«, sagt er. »Ich bin anders. Solange ich nicht die Gewissheit habe, dass ich dich nicht anstecke, will ich dich dieses Risiko nicht eingehen lassen. Ich kann nicht derjenige sein, der dir etwas antut.« Er verdreht die Augen, verliert das Gleichgewicht und streckt die Arme aus, um sich abzufangen.
    Ich springe vor und packe ihn. Er stößt mich mit beiden Händen zurück. »Bitte«, sagt er. »Bitte. Ich ertrage es nicht, wenn dir etwas passiert.«
    Ich will sein Gesicht berühren, doch meine Arme sind nicht lang genug. Ich kann ihn nicht erreichen.
    »Ich werde mich um dich kümmern, Catcher.« Die Angst in meiner Stimme verkehrt sich zu Wut. »Das solltest du inzwischen wissen. Ich gebe dich nicht auf.«
    Er schließt die Augen, sein Atem ist flach, und ich überlege, ob ich die anderen zu Hilfe rufen – oder nach

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