Das Meer Der Tausend Seelen
ich spüre, wie mir das Wasser den Rücken und die Schenkel hinunterrinnt. Er lächelt wieder, als ich zur Seite trete, und betritt den Leuchtturm. Ich schaue mich nach Elias um. Er steht immer noch da, der Mond scheint auf sein Profil. Er hat die Stirn gerunzelt, als ob er mir eine Frage stellen würde, die ich weder verstehe noch zu beantworten weiß. Ich mache die Tür zu und lehne meinen Kopf an das Holz, trenne uns.
Wenn diese Nacht doch endlich vorbei wäre. Ich will allein sein. Ich schließe die Augen, atme tief durch, versuche, irgendwie Ruhe und Frieden in mir selbst zu finden. Daniel werde ich lange genug beschäftigen, sodass Elias geht, und wenn Daniel erst weg ist, bin ich endlich für mich. Ich muss nur die nächsten paar Augenblicke überstehen.
Ich setze ein falsches Lächeln auf und mache einen Schritt nach vorn.
Daniel humpelt umher, nimmt Sachen aus diversen Regalen und betrachtet sie, während ich ein paar Laternen anzünde. Als der Raum schließlich beleuchtet ist, hat er seine Runde beendet und steht vor mir.
Er starrt mich an, als würde er auf etwas warten. Als wüsste er etwas, das ich nicht weiß, und das bringt mich aus der Fassung. Ich gehe in die Küche und hole mir ein Handtuch, mit dem ich mir Gesicht und Arme abtrockne, dann schüre ich das Feuer im Ofen und setze den Kessel auf. Daniel tritt hinter mich, und ich versuche seiner Nähe nicht auszuweichen.
Er streckt den Arm aus, seine Finger streifen meine Taille, und dann zieht er Elias’ Messer aus der Scheide an meiner Hüfte. Die Muskeln an meinem Hals zucken, ich muss mich am Küchentisch festhalten, damit meine Hände nicht zittern. Ich mag das Gefühl nicht, wenn er so nah ist.
»Wie interessant«, sagt er und dreht die Klinge hin und her, sodass das Licht auf das Muster fällt. Ich weiß nicht, ob er das nur beiläufig bemerkt oder ob er mir Informationen entlocken will. Erst als das Schweigen zu angespannt wird, fühle ich mich zu einer Antwort genötigt.
»Danke.« Ich quetsche mich an ihm vorbei und hole zwei Becher, die ich neben den Herd stelle. So selbstverständlich wie möglich wickele ich einen halben Laib Brot aus und lege ihn dazu. Dabei versuche ich nicht daran zu denken, wie meine Mutter den Teig geknetet hat. Sie ist überall hier zu spüren.
Daniel tritt auf mich zu. Er lässt das Messer zwischen uns baumeln, die Lichtreflexe blenden mich. Ich blinzele ihn an.
»Weißt du, so eine Arbeit habe ich bisher nur einmal gesehen«, sagt er. »Sehr ungewöhnlich.« Er legt das Messer neben mich auf den Küchentisch, seine Finger streifen meine Hand. »Natürlich gehörte das, das ich gesehen habe, zu einem Paar. Das Muster war so gestaltet, dass eine Inschrift zu erkennen war, wenn man beide Klingen aneinanderhielt: Gesegnet und geheiligt ist der, der teilhat an der ersten Auferstehung: Über ihn hat der zweite Tod keine Macht .«
Ich versuche nicht zu blinzeln, versuche, überhaupt keine Reaktion zu zeigen, obwohl meine Finger anfangen zu kribbeln und mein Blut zu summen scheint. Ich war überhaupt nicht auf den Gedanken gekommen, dass das Muster auf der Klinge eine Bedeutung haben, dass es die obere Hälfte einer Reihe von Buchstaben sein könnte.
»Schon mal gehört?«, fragt er und zieht eine Augenbraue hoch.
Ich schüttele den Kopf, fürchte, dass meine Stimme zittern würde, wenn ich spreche, denn ich habe den Spruch tatsächlich schon gehört. Er kam in dem Lied der Soulers vor, sie haben ihn in ihrem Singsang immerzu wiederholt, während die Mudo-Frau ihre Zähne in den Jungen geschlagen hat. Ich schiebe mir ein Stück Brot in den Mund, um mein Schweigen noch eine Weile zu entschuldigen.
Zum Glück fängt der Kessel in diesem Moment an zu wimmern. Ich drehe mich wieder zum Herd und verberge mein Gesicht.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Daniel mit den Schultern zuckt, dann legt er einen Finger unter die Klinge und testet ihre Ausgewogenheit. »Hätte ich auch nicht vermutet«, sagt er. »Das ist ein Spruch der Soulers. Du erinnerst dich doch, dass wir was über sie gelernt haben, oder?«
Plötzlich ist das Brot in meinem Mund trocken und klebt an Wangen und Zunge. Ich schüttele den Kopf.
»Eine verrückte Sekte, die Leute opfert, damit sie Mudo werden. Sie glauben, das sei der Weg zu ewigem Leben.« Ich drehe mich um, weil ich sehen will, was er macht, und ertappe ihn dabei, wie er mit dem Finger über die scharfe Messerschneide fährt. »Sie ziehen von Stadt zu Stadt und versuchen Menschen zu
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