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Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Meer der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatriz Williams
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setzte mich und versuchte meine wild durcheinanderwirbelnden Gedanken zu ordnen. Wie lange war es her? Wie lange nur?
    Meine Reisetasche mit dem Kulturbeutel war im Wohnzimmer. Wie benommen steuerte ich darauf zu. Charlie stand vor dem Fernseher, wo CNBC lief. »Altes Mädchen«, sagte er, ohne aufzublicken, »die Kameras sind schon aufgebaut. Gerade kam eine Aufnahme von deinem Typen, wie er ins Gebäude ging.«
    »Ach wirklich?«, erwiderte ich geistesabwesend, nahm meine Tasche, begab mich in mein Zimmer und öffnete sie. Der Kulturbeutel lag unter der Spitzenunterwäsche, die ich für alle Fälle eingepackt hatte.
    Ich öffnete ihn langsam und durchsuchte ihn systematisch. Ja, da war es, mein rundes Pillenetui. Ich kaufte immer die 21-Tage-Packung, weil ich es unsinnig fand, die restlichen sieben Tage lang Tabletten ohne Wirkstoff nur als Platzhalter zu schlucken.
    Allerdings wurde es so wahrscheinlicher, dass man vergaß, mit der nächsten Packung anzufangen. Man dachte einfach nicht daran. Kam aus dem Takt. Insbesondere, wenn man bis über beide Ohren verliebt war und der Verstand deshalb ohnehin nicht richtig funktionierte.
    Okay, immer mit der Ruhe. Wann hatte ich zuletzt meine Periode? War noch nicht so lange her, oder?
    In der zweiten Augustwoche. Das wusste ich deshalb so genau, weil sie an dem Tag aufgehört hatte, bevor wir mit dem Segelboot ins lange geplante Wochenende in Newport aufgebrochen waren. Julian hatte die luxuriöseste Suite im ganzen Haus reserviert. Auf dem Nachttisch standen Champagner, Schokoladentrüffel und reife rote eisgekühlte Erdbeeren. Er hatte mich in seine Arme genommen und mich geküsst, noch ehe die Tür richtig ins Schloss gefallen war.
    Und dennoch war meine deutlichste Erinnerung an diese wenigen Tage eine ruhige Stunde am späten Samstagnachmittag, als weiches honigfarbenes Sonnenlicht schräg durchs Fenster hereinfiel und Julians schlafendes Gesicht beschien.
    Ich hatte ihn bis jetzt kaum schlafend gesehen. Nachts dämmerten wir gemeinsam weg, und morgens wachte er stets vor mir auf, stahl sich in aller Frühe davon und hinterließ mir einen seiner zärtlichen Briefe auf dem Kissen. Deshalb beobachtete ich ihn an jenem Nachmittag besonders fasziniert. Er schlief auf dem Bauch und mit einem unbeschreiblich friedlichen Gesichtsausdruck. Sein nackter Rücken, bedeckt von einem weißen Laken, das kurz oberhalb seines gewölbten Pos endete, hob und senkte sich im Gleichtakt seiner langsamen, regelmäßigen Atemzüge. Auf seinem rechten Unterarm, der, die Handfläche nach unten, neben seinem Gesicht lag, konnte ich durch die feinen hellen, von der Sonne erleuchteten Härchen gerade noch die gezackte Narbe ausmachen.
    Danke, schickte ich voll Staunen ein Stoßgebet zum Himmel. Ich danke dir so sehr. Ich werde gut auf ihn aufpassen, das verspreche ich.
    Nach einer Weile stand ich auf, weil mich unser Aufenthaltsort, Newport, an die noch immer offene Frage erinnerte, wer der mysteriöse Mensch wohl sein mochte, der mir das Buch geschickt hatte. Julian hatte nie nachgehakt, und nachdem ich einige Male die Nummer gewählt und immer nur die Mailbox erreicht hatte, hatte ich es aufgegeben und mich weitaus angenehmeren Beschäftigungen gewidmet. Allerdings war diese Nummer noch in meinem BlackBerry gespeichert, und während Julian friedlich schlafend im Bett lag, schlich ich mich ins Wohnzimmer und versuchte es erneut. Nach einmal Läuten wurde abgenommen.
    »Warwick«, meldete sich eine barsche Stimme.
    Ich beendete die Verbindung.
    Später am Abend fragte ich, in Julians Arme geschmiegt, leise: »Warum hast du mir nicht gesagt, dass Geoff Warwick mir das Buch geschickt hat?«
    Anfangs schwieg er und streichelte nur wie so oft meinen Arm. Nach einer langen Pause küsste er meine Schläfe. »Weil er mein bester Freund ist, und ich möchte, dass ihr euch vertragt«, erwiderte er schließlich.
    »Du solltest mir mehr zutrauen.«
    Er schnaubte. »Um ganz ehrlich zu sein, habe ich die Angelegenheit mehr oder weniger vergessen, nachdem mir klar war, dass von dieser Person keine Gefahr ausgeht.« Er hielt inne und presste die Lippen an meine nackte Schulter. »Bist du mir böse?«
    »Ein bisschen. Obwohl es vermutlich inzwischen Schnee von gestern ist.« Ich drehte mich zu ihm um. »Aber mach bitte das nächste Mal den Mund auf.«
    Er küsste meine Nase. »Okay.«
    Dann waren wir eingeschlafen und am nächsten Morgen zurück nach Lymington gefahren.
    Wo ich kein neues Pillenpäckchen

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