Das Meer der Zeit: Roman (German Edition)
zu Hamilton zu erfahren war die größte Überraschung für mich. Sie hatte ihre Version der Geschichte nämlich sehr gut abgesichert.«
»Also gut«, erwiderte ich ungeduldig. »Aber warum sollten Arthur und Geoff Julian dort hinbringen? Sie glauben doch nicht …« Mir legte sich eine eiskalte Hand ums Herz. »Wollen Sie ihn womöglich erschießen und bei ihr beerdigen …«
Hollanders Augen weiteten sich, und er sprang auf. »Ganz sicher nicht«, murmelte er. »Arthur mag den Verstand verloren haben, doch Geoff ist die geistige Gesundheit in Person.«
»Aber er hasst mich«, erwiderte ich.
»Doch sein Hass erstreckt sich nicht auf Julian«, wandte Hollander ein.
»Hat er Florence geliebt?«
»Möglich«, antwortete er. »Ich habe das nie richtig belegen können. Es gibt Hinweise darauf, dass sie miteinander geflirtet haben, und zwar in Form eines Briefes, der erhalten geblieben ist. Allerdings habe ich eher den Eindruck …«
»Ist nicht weiter wichtig.« Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wir müssen hinfliegen und sie daran hindern, das zu tun, was sie mit ihm vorhaben. Denn es ist sicher nichts Gutes.«
»Hindern? Wie denn?«
»Wir rufen die Polizei und lassen sie festnehmen.«
»Nein, nein, keine Polizei! Überlegen Sie mal, was dann passieren würde.«
»Hören Sie«, entgegnete ich in scharfem Ton, »ich weiß nur, dass mein Mann, der Mann, den ich liebe, von zwei Bewaffneten zu einem Grab gebracht werden soll. Und ich werde alles tun, damit das nicht passiert.«
»Wie? Dazu müssten wir rechtzeitig ankommen. Nach Manchester gibt es nicht viele Flüge, und außerdem sind sie alle schon gestartet. Bis wir dort sind, ist es vorbei.«
»Nein!«, rief ich aus und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. »Ich weigere mich, mich damit abzufinden! Soll ich tatenlos herumsitzen und hoffen, dass sie nur mit ihm reden wollen? Ich kann nicht einfach darauf vertrauen, dass Julian sich selbst rettet. Es steht zwei gegen einen, verdammt!«
Keine Panik. Keine Panik. Denke nach.
»Wir müssten ein Privatflugzeug nehmen«, meinte Hollander. »Wir schaffen es nie. Es ist eine Katastrophe. Und nur ich bin schuld daran.«
»Sagen Sie nicht ständig, dass es unmöglich ist, sondern lassen Sie sich eine Lösung einfallen.«
Vertrau mir. Geh nach Hause. Warte auf mich.
Aber ich konnte nicht warten. Etwa darauf, dass sie ihn umbrachten? Dass mein Leben zu Ende war? Als ich die Hand auf meinen Bauch presste, wurde ich von neuem Tatendrang durchströmt.
Privatflugzeug? Kein Problem. Schließlich war ich jetzt Milliardärin. Konnte ich Julians Konto bei NetJets benutzen? Würden sie eine weitere Reservierung annehmen, während Julian sich angeblich bereits auf einem Flug befand? Wie funktionierten die Abläufe? Durfte ich als Ehefrau mit demselben Konto ein zweites Flugzeug mieten?
Moment mal! Das hatte ich doch gar nicht nötig!
»Augenblick«, sagte ich zu Hollander und stürmte aus der Bibliothek und zwei Stockwerke hinauf in das kleine Arbeitszimmer in der zweiten Etage. Vor zwei Wochen waren meine Sachen aus der Wohnung in ordentlichen weißen, mit schwarzem Markierstift beschrifteten Umzugskartons dort abgestellt worden. Kleider. Schuhe. Bettzeug. Handtücher. Fotos. Akten.
Ich öffnete den Karton mit meinen Akten. Wo war er nur? Ich hatte den Umschlag in den Ordner mit der Aufschrift »Vermischtes« gelegt, weil ich nicht wusste, was ich damit anfangen sollte. Schließlich hatte ich nie vorgehabt, den Inhalt zu benutzen.
Ich fand den roten Hängeordner, klappte ihn auf und entdeckte das Gesuchte sofort. Den Umschlag, den Julian mir an unserem ersten Abend nach der Wohltätigkeitsauktion im MoMA gegeben hatte.
Mit einer Marquis JetCard darin.
Amiens
Danach lagen wir lange ruhig da. Ich dachte schon, er würde gleich einschlafen, doch seine Fingerspitzen strichen immer weiter meinen Arm hinauf und hinunter, so dass meine Haut angenehm prickelte. Ich empfand es beinahe als störend, dass die Gesten und zärtlichen Liebkosungen des Julian von früher dieselben waren wie bei dem, den ich kannte. Allmählich verschwammen die getrennten Bilder in meinem Kopf und verschmolzen zu einem.
»Julian«, sagte ich schließlich, »ich war eine Idiotin, stimmt’s?«
Seine Finger hielten dicht oberhalb des Ellbogens inne. »O Kate, habe ich … Mein Gott … Ich hoffe …«
»Nein, nein! Darum geht es nicht. Es war wundervoll.« Ich lachte leise auf. »Julian, als ob ich das je bereuen würde.
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