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Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Das Meer in seinen Augen (German Edition)

Titel: Das Meer in seinen Augen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L.B. Roth
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Wasser über seinen Körper lief und all den Schmutz mit in den Abfluss nahm, klarte sein Verstand nach und nach wieder auf. Nein, er wollte ganz bestimmt nicht auf Paolo hören, auf keinen Fall. Der Gedanke, David belügen zu müssen, stieß ihm übel auf. Er dachte an seine braunen Augen, die ihn immer mit dieser umwerfenden Unschuld ansahen. Er war ihm die Wahrheit schuldig, was immer das am Ende auch bedeuten mochte.
    Die Badezimmertür ging auf und Paolo schaute herein. »Wieder wach?«, fragte er und grinste anzüglich. »Deine Mutter ist noch immer nicht vom Sport zurück.« Er schob sich ganz herein und Merlin sah, dass er nackt war. »Ist da noch Platz unter der Dusche?« Paolos Augen funkelten. »Du warst echt gut.«
    Merlin schluckte. »Paolo, ich ...«
    Paolo legte ihm einen Finger über die Lippen. »Psst«, machte er und stieg zu ihm unter die Brause.

    84

    David stand noch eine ganze Weile in seinem dunklen Zimmer. Den Blick immer noch Richtung Fenster gewandt. Dann trat er langsam zurück, bis er mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür stieß. Seine Hand tastete zur Seite nach dem Lichtschalter. In diesem Bett hatte er zusammen mit Merlin gelegen. Plötzlich schossen ihm Tränen in die Augen. Am liebsten hätte er laut geschrien, aber er hatte Angst, dass er damit nur wieder seine Mutter auf den Plan rufen könnte. Also riss er sich zusammen und überlegte, was er jetzt tun sollte. Hartnäckig schob sich das Bild von Merlin und Paolo vor seine Augen, obwohl ihm die Jalousien doch die Sicht versperrten. Irgendwann berappelte er sich und stürmte zum Kleiderschrank. Wütend riss er Sportsachen hervor und stopfte sie achtlos in seine Tasche. Er hielt es einfach nicht aus, weiterhin in diesem Zimmer zu stehen und sich von dem verschlossenen Fenster anschreien zu lassen. Ja, es kam ihm in der Tat so vor, als würde sein Blick immer wieder dort hingezogen. Aber er war froh, dass er nicht das sehen musste, was sich dahinter verbarg. Seine Sicht wurde wieder wässrig. Schnell schnappte er die Tasche, stampfte die Füße in seine Schuhe und rannte aus dem Zimmer. Im Badezimmer riss er sich ein Handtuch aus dem Regal und stürzte sich danach die Treppe hinunter. Unten kam seine Mutter aus dem Wohnzimmer und sah ihn mit aufgerissenen Augen an.
    »Was ... wo willst ...«, fing sie an, aber David beachtete sie gar nicht. Er lief einfach an ihr vorbei zur Tür.
    »David!«, rief sie aufgebracht.
    Eilig flüchtete David auf die Straße, den Blick stur zu Boden gerichtet. Er hatte Angst, dass er doch irgendwie zu Merlins Zimmer hinaufsehen könnte und vielleicht irgendwas sah. Ja, vielleicht standen sie ja beide nackt und Seite an Seite dort oben, um ihm hinterherzusehen. Seine Schritte wurden länger. Er stolperte und verfiel in einen Trab, um sich wieder aufzufangen. Schließlich rannte er wie ein Irrer die Straße hinunter. Irgendwie hatte er die Hoffnung, dass er damit seine Gefühle abhängen konnte. Merlin blieb ja schließlich auch zurück. Er bog auf die Hauptstraße ein und versuchte noch ein bisschen schneller zu laufen. Fast überschlug er sich. Vor ihm tauchte verwackelt die erste Querstraße auf. Die Ampel zeigte ihm rot. Doch er dachte nicht daran, langsamer zu laufen. Warum sollte er auch? Wenn die Ampel nicht für ihn grün würde, er würde nicht für sie halten. Merlin hielt ja auch nicht für ihn, wie er es versprochen hatte. David hatte das Gefühl, lachen zu müssen, aber was da aus seinem Mund nach außen drang, hörte sich nicht nach einem Lachen an.
    Irgendwo in der Ferne rief eine Stimme: »Bleib stehen!« Aber der Sinn dieser Worte kam nicht bei ihm an. Lediglich seinen kraftvollen Atem nahm er überdeutlich wahr, und das wilde Hämmern seines Herzens. Vor ihm verschwamm das rote Männchen zu einem diffusen Fleck. Er lief weiter. Noch ein Schrei. Sein Fuß setzte auf die Straße auf. Reifen quietschten. Das war alles, was er hörte, dann zog es ihm die Beine weg und plötzlich lag er quer in der Luft. Alles drehte sich und er schwebte schwerelos in einem Wirrwar von Farben und Geräuschen. Irgendwo in diesem Gewühl, das wusste er, war auch Merlin und gab sich Paolo hin. Aber konnte er ihm das wirklich verübeln? Was war er denn schließlich für ein Liebhaber, der zurückschreckte, wenn es um Sex ging. Sex, das war letztlich alles, worum es sich drehte. Drei Buchstaben, deren Bedeutung ihm so vollkommen unbekannt war, dass die Furcht stets größer war als die Neugier. Alles schien

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