Das Merkbuch
gewohnt, von den Eilers-Werken in Bielefeld, als das seine auszuweisen. M. Stromeyer / Lagerhausgesellschaft / Gegründet 1887 / 1957 / Hauptverwaltung: Mannheim / Fernruf Sammel-Nummer 45 091. Fernschreiber 046854 / Telegrammadresse: Kohlenstromeyer – Kohlenstromeyer steht auch eingeprägt auf der Außenseite, samt der Jahreszahl, wobei das traditionelle Bergbau-Emblem den Firmennamen krönt wie im Innern die Jahreszahl.
Auf der Steckbrief-Seite des Kalenders notiert Vater in jedem der drei Jahre seinen Namen und seine Adresse, die Telefonnummer ist unverändert 434. Im Jahr 1957 und im Jahr 1958 außerdem seine Mitgliedsnummer bei der Krankenkasse, 3.815.282. Im Jahr 1959 fehlt diese Mitgliedsnummer; dafür ist es Vater wichtig, seine Kontonummer mitzuteilen, Stadtsparkasse 1422.
Wenn wir das als Jahreszahl nehmen, könnte man tagträumen, was da alles als Weltgeschichte abrollte. So schreiben wir den so genannten Tag von Nürnberg, an dem . . .
Aber es handelt sich um keine Jahreszahl.
Während Vater die ersten Januartage 1957 bei Röhm & Haas in Worms respektive in Darmstadt arbeitet, was er mit dreimal wiederholten Eintragungen festhält, notiert er am 2. Januar 1958 für diesen und – durch Schweigen – die folgenden Tage Kurhessische Kupferschiefer GmbH, Sontra. Am 2. Januar 1959 beginnend, prüft er die Bücher bei Henschel in Kassel.
Kupferschiefer! Land aus Kupferschiefer und Plexiglas, Kohle und Wasser . . .
1957 muss Vater bei der Kurhessischen Kupferschiefer mit Aufräumarbeiten beschäftigt gewesen sein, denn das Unternehmen wurde bereits 1955 liquidiert: Der Wassereinbruch in einem zentralen Schacht schränkte 1953 den Abbau drastisch ein. Er begann schon im 15. Jahrhundert.
Kupferschiefer zeigt das Meer an, das in unvordenklicher Zeit bis hierher vorgedrungen war und aus dessen Sedimenten sich in unvorstellbarer Dauer der Kupferschiefer bildete. Das Meer ist das All. Reizvolle Wörter lagern um den Kupferschiefer, Worte wie Zechstein, Hieken, Wickelschlacken. Wickelschlacken! Wickelschlacken und Kräuselzwirn. Vater taucht in Urzeiten ein, wenn er in Sontra die Bücher der untergegangenen Kurhessischen Kupferschiefer prüft.
Sontra lag damals im so genannten Zonenrandgebiet. Auf der anderen Seite der Grenze, im Mansfelder Land, betrieb die DDR ihren eigenen Bergbau. Weil es weder kleinen noch großen Grenzverkehr gab, drohte die Gegend, trotz aller Fördermaßnahmen, zu veröden. Wenn Vater nach Sontra reiste, schien er an den Rand der belebten Welt zu verschwinden; der Name Kurhessische Kupferschiefer tat ein Übriges.
Die Wickelschlacken der Geschichte – versteht sich, dass die Ausbeutung des Kupferschiefers das Dritte Reich interessierte: Es wollte ökonomische Autarkie, weitgehende Unabhängigkeit von Importen. Und jetzt liegt Sontra zur Strafe im Zonenrandgebiet. So sah Vater die Lage gern.
Die Henschel-Werke in Kassel, deren Bücher Vater 1959 um diese Zeit studiert, verdienten wie kaum ein anderes Unternehmen am Zweiten Weltkrieg, Panzer, Lastwagen, Lokomotiven, Flugzeuge – der Höllengestank der Geschichte –, kein Wunder, dass alliierte Bombenangriffe die Produktionsstätten gründlich zerstörten. Und die Stadt Kassel obendrein. Wiederum befand sich Vater mit dem verfluchten deutschen Kapital in Berührung. Wenn er von Henschel erzählte, beim Mittag- oder Abendbrot, bei den Spaziergängen, die jetzt, von der neuen Wohnung aus, durch das Tal statt durch den Wald führten – wenn Vater von Henschel erzählte, schien es stets um etwas Anrüchiges zu gehen, Satanswerk, aber entzaubert, erniedrigt, entmächtigt; Vater redete süffisant, voller Schadenfreude.
Im Januar 1957 folgen auf Röhm & Haas, Darmstadt, Rödding, Grebenstein, sowie Hartig und Kasten, Grebenstein. Dann Conrad Lange, Hümme, und Raiffeisen, Trendelenburg, und Hünninghaus, Liebenau.
1958 folgen auf Sontra Idstein, Niederbrechen und Friedberg, keine Firmen-, sondern nur Ortsnamen. Erst Salzmann, Kassel, führt am 3. Februar, Montag, wieder einen Firmennamen ein. Und Ende Februar lesen wir Olivetti, Frankfurt, eine Berühmtheit. Dort arbeitet Vater im nächsten Jahr wieder bei der Einfuhr- und Vorratsstelle, zuständig für Zucker, dieser Regulierungsinstanz jenseits des verfluchten Kapitals.
Salzmann & Comp., eine ehrwürdige Gründung von 1876, siedelte wie die Spinnfaser in Kassel-Bettenhausen; Heinrich Salzmann stammte aus der kleinen Stadt Spangenberg, südlich von Kassel, als deren Wohltäter
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