Das Monster von Bozen
»Ja, wenn er mit seiner Dummheit kokettiert, weil er uns genau das glauben machen will.«
Vincenzo sah geistesabwesend zu, wie sein Kollege sich den Cantuccino, nachdem er ihn in seinen Espresso getunkt hatte, genussvoll in den Mund schob. »In einer halben Stunde ist Franco hier, dann werden wir sehen, ob er ein Alibi und überzeugende Erklärungen mitbringt.«
Um zwölf Uhr saß ihnen in Vincenzos Büro ein schmaler, nervöser Fabio Franco gegenüber. Vincenzo sprach ihn sofort auf die Ergebnisse der Spurensicherung an: »Dottore Franco, wir können beweisen, dass Ernesto Panzini mit Ihrem Pajero am Penegal vorsätzlich von der Straße abgedrängt wurde. Im Wagen haben wir nur Ihre Fingerabdrücke gefunden. Somit besteht dringender Mordverdacht gegen Sie. Wo waren Sie am Freitag zwischen zehn Uhr abends und zwei Uhr nachts?«
Franco sah Vincenzo entsetzt an und sagte mit erhobener Stimme: »Mord? Hören Sie, Commissario, ich habe nichts mit der Sache zu tun, rein gar nichts. Mord, das ist ja ungeheuerlich!«
Vincenzo blieb freundlich, er fuhr mit sanfter Stimme fort: »Bitte, Dottore Franco, beantworten Sie ausschließlich unsere Fragen. Wo waren Sie?«
Franco lehnte sich in seinem Freischwinger zurück und verschränkte demonstrativ die Arme. »Im Bett, das ist ja wohl nicht unüblich um diese Zeit. Außerdem hatte ich eine Magenverstimmung, ich habe mich schon gegen neun hingelegt.«
»Ich nehme an, es gibt keine Zeugen?«
»Wo denken Sie hin? Ich bin geschieden, habe keine Freundin, ich lebe allein. Irgendwer muss meinen Schlüssel aus der Schublade genommen und später wieder zurückgelegt haben!«
»Gibt es sonst jemanden, der Ihr Alibi bestätigen könnte? Nachbarn, Freunde?«
Franco schüttelte den Kopf. »Niemanden. Ich habe ein eigenes Haus und damit keine direkten Nachbarn. Tja, und was Freunde angeht, ich befürchte, seit der Scheidung von meiner Frau habe ich mich zu sehr zurückgezogen. Als wir noch zusammenlebten, waren wir mit einigen Pärchen befreundet. Zu denen habe ich keinen Kontakt mehr. Einzig mit meinen Kollegen unternehme ich auch privat was.«
Vincenzo nickte nachdenklich. »So wie Panzini. Wie war Ihr Verhältnis zu ihm?«
»Wir waren Kollegen, haben, wie gesagt, manchmal nach Feierabend einen Wein zusammen getrunken, wie auch gelegentlich mit den anderen. Wir alle arbeiten gern zusammen, haben ein kollegiales, freundschaftliches Verhältnis.«
Vincenzo wollte Franco seine Etagere zuschieben, um die angespannte Atmosphäre aufzulockern, stellte jedoch überrascht fest, dass Marzoli sämtliche Cantuccini aufgefuttert hatte. Er bekam eine Vorstellung davon, woher die stattliche Leibesfülle des Ispettore stammte. Er zog die Hand wieder zurück und stellte seine nächste Frage. »Hatten Sie in letzter Zeit Streit?«
»Nein, wir hatten nie Streit.«
»Gibt es im Kollegenkreis sonst jemanden, der Probleme oder Streit mit ihm gehabt haben könnte?«
Franco war jetzt offenkundig genervt. Er verdrehte die Augen. »Commissario, Sie stellen mir vielleicht Fragen! Warum sprechen Sie nicht direkt mit meinen Kollegen? Ich habe jedenfalls nichts Derartiges mitbekommen.«
»Gut, wechseln wir das Thema. Erzählen Sie uns, was die SSP macht. Was ist dabei Ihre Funktion? Welche hatte Panzini?«
Sie erfuhren, dass alle Berater ähnliche Aufgaben hatten: Geschäftspläne erstellen, Standorte präsentieren, darauf achten, dass die staatlichen Vorschriften eingehalten werden, Fördergelder und Zuschüsse beantragen – aus EU-Töpfen oder aus Töpfen des italienischen Staates –, die Kunden in der Umsetzungsphase begleiten, Sprachbarrieren überwinden. Salvatore Gemini hatte die SSP zusammen mit Hans-Georg Schimmel gegründet und war der aktivere der beiden Geschäftsführer, seine langjährigen Kundenkontakte waren unverzichtbar für die Akquise von Neuprojekten. Am konkreten Beratungsgeschäft war er kaum noch beteiligt.
Aus dem Gehörten ergaben sich keinerlei Hinweise auf ein Mordmotiv. Über Panzinis Privatleben erfuhren sie nur wenig. Er stammte aus Turin, hatte dort in einer Steuerkanzlei gearbeitet, wurde dann Geschäftsführer einer Winzergenossenschaft in Bozen und kam schließlich zur SSP. Das war 1999, also vor mehr als zehn Jahren. Er hatte eine schlichte Blindbewerbung geschickt, weil er sich beruflich weiterentwickeln wollte. Seine Frau war früh an Krebs gestorben, keine Kinder, keine feste Freundin, soweit Franco wusste. Das war alles. Ein ganz normaler, unauffälliger
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