Das Monster von Moskau
Hauch von Orient.
Das lag an den großen und oft wulstigen Kissen, die sich auf dem glatten Holzboden verteilten, der auch nicht überall sichtbar war, weil einige Teppiche kreuz und quer verteilt lagen und für ein zusätzliches Wohlgefühl sorgten.
Karina Grischin sah meine erstaunten Blicke und schlenderte auf mich zu. »Na, was sagst du?«
Ich blickte auf meine Schuhe. »Da wagt man kaum, dieses Zimmer zu betreten.«
Sie lachte. »Das kannst du ruhig, Valentin ist nicht zimperlich. Außerdem hat er gern und oft Besuch.«
Ich deutete nach vorn und dann im Kreis. »Warum dieser orientalische Touch? Ist er Moslem?«
»Das nicht, John. Allerdings ist er früher schon in der Welt herumgekommen. Nicht in der westlichen, aber im Süden des Landes hat er die alten Traditionen studiert, und diese Lebensgewohnheiten haben ihm außerordentlich gut gefallen.«
»Das sieht man.«
Valentin hatte sich von uns entfernt. Er war in eine offene Küchenzeile getreten, die neben einem langen und bis zum Boden reichenden Fenster lag. Er ließ Wasser in einen Kessel laufen und stellte ihn danach auf eine Kochplatte.
Karina drückte mit einer Hand gegen meinen Rücken. »Du kannst dich ruhig schon setzen, John. Such dir einen Platz aus. Aber nimm dir einen nahe des kleinen Tisches.«
»Danke.«
Ich fand es noch immer schade, dass ich mit meinen Schuhen über einen der Teppiche laufen musste. Es ließ sich leider nicht vermeiden. Die Kissen hatten die Höhe einer Couch. Ich war überrascht, wie gut man sich dort hineinsetzen konnte.
Auch Karina nahm Platz. »Das hättest du nicht gedacht, wie?«
»Nein.«
»Der alte Valentin ist eben etwas Besonderes. Das habe ich schon als Kind gemerkt.«
»Ist er ein Verwandter von dir?«
»Fast. In der Kindheit habe ich hier mit meinen Eltern gewohnt. Später sind wir dann direkt in die Stadt gezogen.«
»Verstehe. Dann bist du keine Russin, sondern eine Ukrainerin.«
Sie winkte ab. »Ja, im Prinzip schon. Aber das darf man nicht so eng sehen. Früher spielte es nach außen hin keine Rolle, woher die Menschen kamen. Das hat sich später geändert. Da kamen dann die verborgenen Emotionen wieder hoch. Da will jede kleine Provinz zu einem selbstständigen Staat werden, und das geht nie gut, Da gibt es immer wieder Ärger. Das war schon früher so, das wird es auch immer bleiben. Am schlimmsten ist es natürlich in Tschetschenien. Ich befürchte, dass auch Wladimir sich dort aufhält. Einen direkten Zielort hat er mir nicht gesagt, und in seinem Büro weiß man angeblich auch nichts. Aber ich sehe das anders.« Sie hob die Schultern mit einer sehr nachdenklichen und auch verlegenen Geste. »Ich hoffe nur, dass er nichts Unrechtes tut und heil wieder nach Hause kommt. Mehr will ich ja nicht.«
»Ja, da stimme ich dir zu. Aber über den Kampf der Tschetschenen möchte ich mich nicht äußern. Ich weiß zu wenig. Aber der Terror ist auch keine Lösung. Das bekommen wir ja leider tagtäglich bewiesen. Da denke ich nur an Madrid.«
»Leider.«
Unser Gespräch wurde unterbrochen, weil Valentin auf uns zukam. Er trug die Teekanne. Die Tassen hatte er auf ein Tablett gestellt, das er in der anderen Hand hielt.
Karina stieß mich an. »Der Tee ist seine persönliche Mischung. Ich bin gespannt, wie er dir schmeckt.«
»Muss ich höflich sein oder ehrlich?«
Jetzt stieß sie mir den Ellbogen in die Rippen. »Das überlasse ich dir. Du bist schließlich erwachsen.«
»Danke.«
Als Gastgeber servierte Valentin den Tee. Sein Alter kannte ich nicht, doch ich sah, dass seine Hände nicht um einen Deut zitterten. Er machte alles perfekt, auch das Eingießen, und er ließ den Strahl von weit oben nach unten fallen.
Kein Tropfen spritzte dabei über. Valentin war wirklich ein Meister seines Faches.
Karina bekam ihr Getränk zuerst. Danach war ich an der Reihe, dann bediente sich Valentin. Dass wir hier nicht nur saßen um Tee zu trinken, verstand sich von selbst. Aber den wahren Grund wusste ich noch immer nicht und wartete darauf, dass wir darauf zu sprechen kamen.
»Spricht er eigentlich Englisch?«, wandte ich mich mit leiser Stimme an meine Nachbarin.
»Leider nicht. Er ist in einer anderen Zeit aufgewachsen. Heute wäre das kein Problem, das siehst du an mir, aber damals...« Sie hob die Schultern und ließ die weiteren Worte unausgesprochen.
Ich stellte schon fest, dass Valentin uns beobachtete, doch in seinem Blick lag keine Falschheit, und das gefiel mir. Offen und ehrlich schaute er
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