Das Monstrum
Hartley, der methodistische Pfarrer, reagierte mit zunehmender Bestürzung auf die religiöse Inbrunst, die sich in Ilium ausbreitete wie eine Choleraepidemie. Vielleicht lag das daran, dass die Methodisten unter normalen Umständen die unauffälligsten Diener Gottes sind; sie hören sich keine Predigten an, sondern »Botschaften«, beten meistens lautlos und betrachten das Amen vor der ganzen Gemeinde nur als angemessen, wenn es auf das Vaterunser folgt oder einen der wenigen Psalmen, die nicht vom Chor gesungen werden. Aber jetzt taten diese bislang unauffälligen Leute
alles, sie sprachen in Zungen und wälzten sich in heiliger Ekstase auf dem Boden. Als Nächstes, sagte Mr. Hartley manchmal, werden sie mit Schlangen hantieren. Die Versammlungen im Zelt an der Straße nach Derry am Dienstag, Donnerstag und Sonntag wurden zunehmend lauter, ausgelassener und emotionell explosiver. »Wenn das in einem Jahrmarktszelt passierte, würde man es für Hysterie halten«, sagte er eines Abends bei einem Glas Sherry in der Sakristei der Kirche zu Fred Perry, der zum Kirchenvorstand gehörte und gleichzeitig sein einziger guter Freund war. »Aber weil es in einem Erweckungszelt geschieht, können sie es im Zweifelsfall immer Pfingstfeuer nennen.«
Reverend Hartleys Argwohn gegenüber Colson erwies sich im Lauf der Zeit als reichlich gerechtfertigt, aber Colson verschwand, nachdem er eine reiche Ernte nicht an Kürbissen und Kartoffeln, sondern an harten Münzen und weichen Frauenleibern eingebracht hatte. Zuvor jedoch drückte er der Stadt seinen bleibenden Stempel auf, indem er sie erneut umtaufte.
Seine Predigt an jenem heißen Augustabend begann mit dem Thema der Ernte als Symbol für großen Lohn Gottes und wandte sich dann dem Thema ebendieser Stadt zu. Zu diesem Zeitpunkt hatte Colson den Gehrock abgelegt. Das schweißnasse Haar hing ihm in die Augen. Die Schwestern hatten bereits angefangen, sich in der Betecke niederzulassen, wenngleich es noch eine Weile dauern sollte, bevor das in Zungen reden und das ekstatische Wälzen begann.
»Ich halte diese Stadt für auserwählt«, sagte Colson zu seinem Publikum und umklammerte die Seiten der Kanzel mit den großen Händen – vielleicht betrachtete er sie noch aus einem anderen Grund als dem, dass er sich entschieden hatte, dort sein Wort zu verbreiten (von seinem Samen ganz zu schweigen), als auserwählt, aber wenn es so war, dann
sagte er es nicht. »Ich betrachte sie als Hafen. Ja! Ich habe hier einen Hafen gefunden, der mich an meinen himmlischen Heimathafen erinnert, ein herrliches Land, das sich vielleicht kaum von jenem unterscheidet, in dem Adam und Eva lebten, bevor sie die Frucht vom verbotenen Baume aßen. Auserwählt! «, bellte Prediger Colson. Jahre später noch gab es Mitglieder seiner Gemeinde, die sich bewundernd darüber ausließen, wie dieser Mann, Schurke oder nicht, für Jesus hatte brüllen können.
»Amen!«, heulte die Gemeinde zurück. Der Abend war zwar warm, aber kaum warm genug, um die Röte so vieler weiblicher Wangen zu erklären; diese Röte war weit verbreitet, seit Prediger Colson in die Stadt gekommen war.
»Diese Stadt ist nichts anderes als eine Zierde Gottes! «
»Halleluja!«, schrie die Gemeinde jubilierend. Brüste wogten. Augen leuchteten. Zungen schnellten hervor und feuchteten Lippen an.
»Diese Stadt hat eine Verheißung! «, brüllte Prediger Colson, der jetzt rasch auf und ab ging und gelegentlich seine schwarzen Locken mit einem raschen Zucken zurückschleuderte, das seinen sorgfältig verschnürten Halskragen vorteilhaft zur Geltung brachte. »Diese Stadt hat eine Verheißung, und diese Verheißung ist eine reiche Ernte, und diese Verheißung soll erfüllt werden! «
»Gelobt sei Jesus Christus!«
Colson kehrte zur Kanzel zurück und umklammerte sie, dann sah er sie bedrohlich an. »Warum ihr diese Stadt, die die Ernte Gottes und den Hafen Gottes verheißt – warum ihr diese Stadt, in der von solchen Dingen die Rede ist, nach einem Spaghettifresser benannt haben wollt, ist mehr, als ich verstehen kann, Brüder und Schwestern. Ich kann mir nur erklären, dass irgendwann in der letzten Generation der Teufel gewirkt haben muss.«
Die Gespräche darüber, ob man den Namen der Stadt von Ilium in Haven ändern solle, begannen schon am nächsten Tag. Reverend Mr. Crowell protestierte ohne Nachdruck gegen die Änderung, Reverend Mr. Hartley wesentlich heftiger. Die Stadtverordneten waren neutral, sie wiesen lediglich darauf
Weitere Kostenlose Bücher