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Das Monstrum

Das Monstrum

Titel: Das Monstrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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David folgte ihnen wie der Schwanz eines Lenkdrachen. Sie fragte sie, was für Bücher die Jungs sich ausgeliehen hatten, und sie zeigten sie ihr bereitwillig. Nur in den Augen des kleinen David hatte sie kurz ein zögerndes Eingeständnis der Panik gesehen, die er empfand … und in seinen Gedanken gelesen. Dass sie seine Angst gespürt und nichts dagegen unternommen hatte, war der Hauptgrund dafür, dass sie sich so schwere Vorwürfe machte, als der kleine Junge zwei Tage später verschwand. Jemand anders hätte sich vielleicht einfach herausgeredet, hätte gesagt: Ich hatte selbst genug um die Ohren, auch ohne dass ich mich um die Probleme von David Brown kümmerte. Aber sie gehörte nicht zu der Art von Frauen,
die mit solchen Verteidigungen trösten können. Sie hatte das tiefe Entsetzen des Jungen gespürt. Schlimmer, sie hatte seine Resignation gespürt, das Wissen, dass sich nichts ändern ließ, dass sie sich einfach weiter auf ihrem vorbestimmten Kurs vom Schlimmen zum Schlimmeren bewegen würden. Und wie um die Wahrheit dessen zu beweisen, he, presto!, war David verschwunden. Und Ruth nahm ihren Teil der Schuld auf sich, genau wie sein Großvater.
    Am Rathaus machte sie kehrt und ging zu ihrem Haus zurück, wobei sie trotz ihrer bohrenden Kopfschmerzen und ihres zunehmenden Unbehagens ein freundliches Gesicht machte. Die Gedanken wirbelten und raschelten und tanzten.
    (lieben dich, Ruth)
    (wir können warten Ruth)
    (psssst psssst geh schlafen)
    (ja geh schlafen und träume)
    (träume von Dingen träume von Wegen)
    (zu »werden« Wegen zu »werden« Wegen zu)
    Sie betrat ihr Haus, verschloss die Tür hinter sich, ging nach oben und vergrub das Gesicht im Kissen.
    Träume von Wegen zu »werden«.
    O Gott, wenn ich doch nur genau wüsste, was das bedeutete.
    Wenn du gehst gehst du wenn du bleibst veränderst du dich.
    Sie wünschte sich, sie wüsste es, denn was immer es auch bedeuten mochte, es geschah mit ihr, ob sie wollte oder nicht. So viel Widerstand sie auch leistete, sie war ebenfalls dabei zu »werden«.
    (ja Ruth ja)
    (schlafe … träume … denke … »werde«)
    (ja Ruth ja)

    Diese raschelnden und fremdartigen Gedanken verfolgten sie in den Schlaf und zerstoben dann in der Dunkelheit. Sie lag vollständig angezogen quer auf dem großen Bett und schlief tief und fest.
    Als sie aufwachte, war ihr Körper steif, aber ihr Geist fühlte sich klar und erfrischt. Ihre Kopfschmerzen hatten sich verzogen wie Rauch. Ihre Periode, die so seltsam würdelos und beschämend gewesen war, nachdem sie gedacht hatte, das wäre endgültig aus und vorbei, hatte aufgehört. Zum ersten Mal seit fast zwei Wochen war sie wieder ganz sie selbst. Sie würde eine lange und kalte Dusche nehmen und sich dann daranmachen, dem allem auf den Grund zu gehen. Wenn sie dazu Hilfe von außerhalb brauchte, nun gut. Wenn sie ein paar Tage damit leben musste, dass die Leute sie für übergeschnappt hielten, auch gut. Sie hatte ihr ganzes Leben lang darauf hingearbeitet, als geistig gesund und vertrauenswürdig zu gelten. Und wozu konnte so ein Ruf dienen, wenn nicht dazu, dass einen die Leute ernst nahmen, wenn man sich verrückt anhörte.
    Als sie anfing, ihr zerknittertes Kleid auszuziehen, erstarrten ihre Finger plötzlich über einem Knopf.
    Ihre Zunge hatte eine Lücke in der unteren Zahnreihe gefunden – sie spürte einen sanften, pochenden Schmerz dort. Sie sah auf die Überdecke ihres Bettes. Da, an der Stelle, wo ihr Kopf geruht hatte, sah sie den Zahn, der ihr in dieser Nacht ausgefallen war. Plötzlich schien nichts mehr einfach zu sein – überhaupt nichts.
    Ruth stellte fest, dass die Kopfschmerzen wieder angefangen hatten.
    11
    Haven stand sogar noch heißeres Wetter bevor – im August sollte es eine Woche geben, in der die Temperaturen an jedem einzelnen Tag die 40-Grad-Marke überschritten –, aber vorläufig reichte jedem in der Stadt die Welle schwüler Hitze vom 12. bis zum 19. Juli vollkommen aus, besten Dank.
    Die Straßen gleißten. Die Blätter an den Bäumen hingen schlaff und staubig herab. Die stille Luft übertrug Laute: Bobbi Andersons alter Lastwagen, der nun zu einer Grabungsmaschine umgebaut war, war während dieser ganzen heißen acht Tage in Haven Village deutlich zu hören. Die Leute wussten, dass draußen auf dem alten Frank-Garrick-Anwesen etwas Wichtiges vor sich ging – wichtig für die ganze Stadt –, aber niemand sprach laut davon, ebenso wenig wie man davon sprach, dass es Justin Hurd,

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