Das Moor Des Vergessens
wurde der Friede und die Harmonie unserer kleinen Welt wiederhergestellt. Das glaubte ich jedenfalls, aber nur kurze Zeit danach zeigte sich mein Irrtum.
33
Jane drehte sich um und sah auf die Uhr. Zehn nach zwei. Neun Minuten, seit sie zuletzt nachgesehen hatte. Der Schlaf schien ihr genauso unerreichbar wie das Wordsworth-Manuskript. Immer wieder döste sie fast ein, aber die Ereignisse des Tages vermischten sich zu einem unerfreulichen Kaleidoskop, das sie wieder aufschrecken ließ. Sie hatte das unangenehme Gefühl, dass sie etwas Wichtiges vergessen hatte, das mit Donna Blairs Besuch zu tun hatte. Aber es ließ sich nicht fassen.
Irgendwann stellte sich richtiger Schlaf ein, und als sie wieder aufwachte, konnte sie kaum glauben, dass sie bis Viertel vor zwölf geschlafen hatte. Sie hatten doch Arbeit. Warum hatte Dan nicht angerufen? Selbst in ihrem benebelten Zustand wusste Jane die Antwort auf diese Frage. Sie schlug die Decke zurück, schnappte sich ihren Morgenmantel und lief nach unten. »Warum hast du mich nicht geweckt?«, rief sie und stürzte in die Küche. Sie war leer. Eine Nachricht stand an eine Vase mit späten Rosen gelehnt.
Dad und ich sind nach Dalegarth gefahren, wollen uns einen Wurf junger Hunde ansehen. Würstchen im Teigmantel im Kühlschrank, musst du nur warm machen, stell sie unten in den Ofen, während du duschst. Sind bis zum Tee zurück. Bis später.
Gruß Mum
Ärgerlich vor sich hin murmelnd und auf Dan fluchend, tat Jane, was ihr geraten worden war. Zwanzig Minuten später kam sie wieder in die Küche, geduscht und angezogen, die feuchten Locken hingen ihr auf die Schultern herab. Sie nahm das heiße Essen aus dem Ofen und verteilte es auf zwei Teller, bedeckte sie mit einem Tuch und machte sich voller Angst, was sie wohl vorfinden würde, zum Schlachthaus auf.
Als sie diesmal die Tür öffnete, entdeckte sie Tenille auf einer der Steinbänke. Sie lag vollständig angezogen in ihrem Schlafsack, einen Arm hoch über den Kopf gestreckt. Sie sah viel zu jung aus, um für sich selbst sorgen zu können. »Morgenstund hat Gold im Mund«, rief Jane, stieß die Tür mit der Hüfte zu und brachte das Essen zu Tenille hinüber. Das Mädchen wachte auf, rieb sich die Augen und gähnte. Sie sagte etwas, das wie »Walo?« klang und das Jane in »Was ist denn los?« übersetzte.
»Wasiert?«, antwortete Jane, eine Antwort, die sie von Tenille gelernt hatte und die hieß: »Was ist denn passiert?« »Gestern Nacht«, fuhr Jane fort. »Wo warst du da?« »Mann, ist das warmes Essen?« Tenilles Augen wurden groß, und ihre Nasenflügel weiteten sich. »Riecht gut.« »Ich dachte, wir könnten zusammen Brunch essen. Da wir gestern Nacht offenbar beide lange wach waren«, sagte Jane mit einer verborgenen Warnung in der Stimme. »Du bist vorbeigekommen?« Tenille klang überrascht. »Ich dachte, du könntest nicht kommen. Hab gedacht, du bist zu Bett gegangen.« Sie streckte sich genüsslich. »Teilst du das mit mir, oder willst du mich nur quälen?« »Ich bin nicht sicher, ob du es verdient hast. Was, zum Teufel, soll das, dass du einfach so rausgehst? Jemand hätte dich sehen können.«
Tenille schüttelte den Kopf und streckte die Hand nach einem Teller aus, den Jane aber außer Reichweite schob. »Hier ist doch um diese Zeit nachts niemand unterwegs«, sagte Tenille abschätzig. »Sie liegen alle im Bett. Ich glaube, sie stellen um Mitternacht den Strom ab. Und selbst wenn irgendjemand mich sieht, sieht er einfach jemand auf einem Fahrrad. Es ist ja nicht so, dass man merken würde, dass ich schwarz bin.«
»Auf einem Fahrrad?«, sagte Jane schwach. »Ich leihe mir dein Fahrrad. Ich dachte, es würde dir nichts ausmachen. Also, gibst du mir jetzt das Essen, oder was?« Jane gab ihr den Teller. Tenille betrachtete das Essen misstrauisch. »Was 'n das?«, sagte sie. »Würstchen im Teigmantel.«
»Sieht eher aus wie 'n Hundehaufen im Mantel«, sagte Tenille. »Ich hab noch nie 'ne Wurst gesehen, die aufgerollt war wie Hundescheiße.«
»Es ist Cumberland-Wurst. Eine Delikatesse aus der Gegend hier«, sagte Jane. »Iss sie auf, sonst tu ich's. Ich kann es nicht fassen, dass du mit meinem Fahrrad mitten in der Nacht draußen herumfährst. Was wäre, wenn dich ein Polizist angehalten hätte?«
»Warum sollten sie das tun? Es ist nicht illegal, auf einem Fahrrad zu fahren, selbst mitten in der Nacht.« »Aber nicht, wenn es kein Licht hat. Und ich weiß bestimmt, dass das Licht
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