Das Moor Des Vergessens
aber dann sagte die Frau an der Uni etwas von Freistellung, und ich dachte, vielleicht hätte ihre Nachbarin es falsch verstanden.« Sobald er das gesagt hatte, wusste Kumar, dass es ein Fehler war. »Ich werde hier fürs Denken bezahlt«, sagte Donna. »Nehmen Sie sich das Telefonbuch vor, während Sie warten, bis Jane Greshams Chefin anruft. Ich vermute, es gibt nur einige Dutzend Greshams in der Gegend. Und bevor Sie sich dahinein vertiefen, verbinden Sie mich mit dem Medienzentrum oder wie immer die Pressestelle sich diese Woche nennt. Jetzt, wo es so aussieht, als hätte sie sich davongemacht, ist es Zeit, ihr Foto zu veröffentlichen.«
Kumar zog sich zurück, und Donna warf ihm einen finsteren Blick nach. Eigentlich war sie nicht wütend auf ihn. Was sie wirklich ärgerte, war, von einer Dreizehnjährigen an der Nase herumgeführt zu werden. Sollte noch jemand Zweifel an Tenille Coles Abstammung haben, so lag die Antwort mittlerweile auf der Hand.
Nach einigem Wühlen in ihrer Schublade fand sie einen Nikotinkaugummi. Sie wollte nicht mit John Hampton, dem Hammer, sprechen, hatte aber ein ungutes Gefühl, dass es dazu kommen würde. Nicht dass diese Aussicht ihr Angst eingejagt hätte. Eher graute ihr vor dem Gedanken an ein weiteres sinnloses Gefecht, das den Fall nicht voranbringen würde. Aber es ließ sich nicht vermeiden. In dieser Zeit, wo so viele alte Fälle wieder aufgerollt wurden, konnte es beruflichen Selbstmord bedeuten, irgendetwas unversucht zu lassen, wie einige ihrer älteren Kollegen in letzter Zeit erfahren hatten.
Bitte, lass Kumar Jane Gresham finden, dachte sie. Und bitte mach, dass Jane Gresham weiß, wo sich Tenille aufhält.
Matthew lächelte seinen Schülern zu, ein aufrichtiges Lächeln, das den Ausdruck seines dieser Tage permanent beleidigten Gesichts verwandelte. So kam die Ähnlichkeit mit seiner Schwester besser heraus, deren optimistischere Lebenshaltung ihren Gesichtszügen einen freundlicheren Ausdruck verliehen hatte. Es war ein Lächeln, das sein Sohn öfter sah als irgendjemand sonst, und seine Schüler lernten, sich bei diesem warmen Lächeln zu entspannen. »Ihr habt eure Sache alle sehr gut gemacht«, sagte er, und dieses Lob war ehrlich gemeint. Er war angenehm überrascht gewesen, wie weit sie alle ihre Stammbäume hatten zurückverfolgen können und wie viele Einzelheiten sie zusammengetragen hatten. Die Ausführung war zugegebenermaßen sehr unterschiedlich. Zwei waren mit dem Computer hergestellt, inklusive eingescannter Fotos. Beide Arbeiten waren von den Kindern der Zugezogenen, deren Eltern in der IT-Branche arbeiteten. Aber selbst Jonathan Bramley, dessen Handschrift Matthew immer noch zur Verzweiflung trieb, hatte sich redlich bemüht, seinen Stammbaum so auszuarbeiten, wie er sein sollte.
»Das wird ein sehr eindrucksvoller Teil unserer Ausstellung am Ende des Schuljahres«, fuhr Matthew fort. »Wir haben also genügend Zeit, herauszufinden, ob wir noch weiter in die Geschichte zurückgehen können. Jetzt werden wir uns genauer ansehen, wie unsere Vorfahren gelebt haben, wie ihre Lebensbedingungen waren, was für Berufe sie hatten und wie ihre Familien miteinander zusammenhingen.« Er lächelte wieder. »Aber bevor wir uns damit beschäftigen, sollen Sam und Jonathan mit ihren Stammbäumen nach vorne kommen.«
Die beiden Jungen blickten einander an, während sie in den vorderen Teil des Klassenzimmers gingen. Sam sah argwöhnisch und Jonathan verdrießlich aus. Sams Arbeit war übersichtlich angeordnet, klar und informativ gestaltet. Die von Jonathan sah daneben eher dürftig aus, aber sie war anschaulich genug für Matthews Zwecke. »Habt ihr beide mal eure Arbeiten angesehen?«, fragte Matthew und ging in die Hocke, damit er auf gleicher Höhe wie die Jungen war. Beide schüttelten den Kopf. »Also gut. Jetzt dreht euch mal zur Klasse um und haltet sie hoch, damit wir sie alle gut sehen können.« Matthew hielt inne, während sie das taten. »Das Erste, was wir an diesen zwei Stammbäumen sehen, ist, dass Sam und Jonathan ihre Vorfahren über mehrere Generationen zurückverfolgen können. Das kommt daher, dass sie aus Familien hier am Ort stammen. Erst in den letzten dreißig Jahren oder so sind die Menschen mobil geworden. Davor blieben die meisten Leute in der Nähe ihres Geburtsorts. Wenn sie mehr als zwanzig Meilen wegzogen, dann im Allgemeinen nur, weil sie Arbeit suchen mussten. Mein Großvater zum Beispiel kam aus Cornwall nach Cumbria, weil er
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