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Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.

Titel: Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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dreizehn Kilometer, und die Chancen, auf dieser ver­lassenen Straße mitgenommen zu werden, waren gering. Sie machte sich auf den Weg.
    Fünf Minuten später war ihr klar, daß ihre Bleistiftabsät­ze für diese Straße nicht taugten. Sie zog die Schuhe aus und trat barfüßig ihren Marsch in Richtung Zivilisation an, wobei sie sich verfluchte, daß sie Onkel Bells guten Rat in den Wind geschlagen hatte.
    In der Ferne sah sie eine vielversprechende Staubwolke. Es war ein Auto, das in die falsche Richtung fuhr, aber trotzdem stellte sie sich in die Mitte der Straße und fing an, wie wild zu winken. Als es bis auf hundert Meter he­rangekommen war, sah sie, daß sie ihr eigenes Kabriolett anzuhalten versuchte.
    Es fuhr an ihr vorbei. Wenige Meter hinter ihr riß der jun­ge Mann im Overall das Lenkrad scharf herum und wende­te. Er stellte den Motor ab und lehnte sich über die Tür.
    »Es tut mir leid«, sagte er.
    Sie humpelte über die Straße. Er stieg auf der anderen Seite aus und stand wie ein begossener Pudel einfach so da, wartend.
    »Ich hab gesagt, es tut mir leid«, wiederholte er. »Ich weiß nicht, was mich dazu gebracht hat, es muß die Hitze gewesen sein. Da hab ich den Verstand verloren.«
    Sie zog ihre Schuhe wieder an und setzte sich hinters Steuer. Aber sie ließ den Fuß vom Gas. »Ich begreif’s nicht«, sagte sie rundheraus.
    »Da gibt’s nichts zu begreifen. Ich bin kein Dieb, ich habe einfach einen Fehler gemacht. In Ihrer Handtasche hab ich nichts angerührt. Wollen Sie’s nachprüfen?«
    Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum. »Ich vertraue Ih­nen.«
    »Dazu haben Sie keinen Grund.«
    »Sie sind zurückgekommen«, sagte Erika. »Ich denke, das ist Grund genug.« Sie wandte den Kopf und funkelte ihn an.
    »Steigen Sie schon ein. Der Fußmarsch würde Ihnen keine Freude machen. Das kann ich aus Erfahrung sagen.«
    »Ist das Ihr Ernst?«
    Sie legte den Gang ein. Schnell öffnete der junge Mann die Tür auf der Beifahrerseite und stieg ein.
    »Ich heiße Johnny Brennan«, sagte er.
    Sie wußte, daß er reden wollte und daß ihr Schweigen ihn am ehesten dazu ermutigen würde. Mehr noch, Erika wußte, daß sie zuhören wollte.
    »Ich habe so etwas noch niemals getan«, sagte er. »Als meine alte Klapperkiste den Geist aufgab, da hat mir das den Rest gegeben, nehme ich an. Alles, was ich noch den­ken konnte, war: Bloß weg hier, irgendwo anders hin. Ganz was anderes anfangen.
    Als ich den Job da in Delmar hinschmiß, da hab ich mir geschworen, nie wieder ne Farm! Ich bin nicht dumm. Aber auf ner Farm kann man nicht denken, da ist man bloß noch wie eines von den Tieren.«
    »Heutzutage arbeiten sogar Collegeabsolventen auf Farmen.«
    Er lachte bitter. »Nicht auf meiner Sorte von Farm. Da macht der Farmer seinen Dreck alleine. Ich möchte zur Abwechslung mal ein weißes Hemd tragen. Aber wer stellt mich schon ein? Ich brauche doch bloß zur Tür rein­zukommen, da riecht man schon das Heu. Und an allem ist der Krieg schuld …«
    »Der Krieg?«
    »Sie wissen wahrscheinlich gar nicht, von was für einem Krieg ich überhaupt rede; ich meine die Schweinerei, die wir drüben in Korea hatten. Mit sechzehn wurde ich Sol­dat, machte mich älter, als ich war, bloß um von zu Hause wegzukommen. Mit achtzehn war ich drüben. Ich war noch ein Kind, hatte keine Ahnung, worum’s da ging. Das Ende vom Lied war, daß man mich kaputtgeschossen hat.«
    »Das tut mir leid«, sagte Erika still.
    »Ich war noch gut dran; ein Lazarett war immerhin besser als ein Schlachtfeld, bloß war’s eine lange Zeit für mich. Sie brauchten acht Jahre, um mich wieder zusammenzuflicken. Und da ging’s mir noch besser als Humpty-Dumpty.
    Als sie mich schließlich gehen ließen, war ich blaß und abgemagert und brauchte dringend körperliche Bewegung. Die Militärärzte meinten, ich sollte eine Arbeit im Freien verrichten. Sie besorgten mir auch meinen ersten Farmjob. Seit damals versuche ich, davon wegzukommen. Verste­hen Sie, wovon ich rede?«
    »Ich glaube schon«, sagte Erika. »Ich bin vielleicht nicht Ihrer Ansicht, aber ich kann Ihre Gefühle begreifen. Mein Großvater war Farmer, aber mein Onkel, der Bruder mei­nes Vaters, haßte dieses Leben. Mit achtzehn lief er von zu Hause weg.«
    »Was wurde aus ihm?«
    »Er hat’s geschafft. Ihm gehört die Maschinenfabrik Lacy in Point Placid, beziehungsweise ihm und seinem Partner.«
    Johnny stieß einen Pfiff aus.
    »Ich war auf dem Weg dorthin, als Sie mich anhielten«,

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