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Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.

Titel: Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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Weile durch die Gegend hinken, aber ich bin okay.«
    »Es steht sogar noch besser um ihn«, sagte der Colonel. »Viel besser. Johnny fängt an, sich zu erinnern.«
    Erika hielt den Atem an. »Erinnern?«
    »An seine Vergangenheit. Daran, wer er wirklich ist. Ir­gendwie hat seine Flucht mehr bewirkt als sein ganzer An­staltsaufenthalt. Nicht daß wir sie geradezu als Therapie empfehlen würden, aber in seinem Fall hat sie gewirkt.«
    »Flucht?« sagte Erika.
    »Es stimmt«, sagte Johnny. »Das war das einzige, was ich nicht gewagt habe, dir zu erzählen, Erika. Ich bin nicht entlassen worden, ich bin geflohen.«
    Sie sah mit einer unausgesprochenen Frage den Colonel an.
    »Nein«, sagte dieser lächelnd, »ich glaube nicht, daß er zurück muß, Miss Lacy. Er wird von jetzt an ein ambulan­ter Patient sein.«
    »Patient?«
    »Haben Sie gedacht, er sei ein Gefangener gewesen? Nein, Miss Lacy, es war kein Gefängnis. Es ist eine psychiatrische Klinik für ehemalige Kriegsteilnehmer. Johnny war da, weil er jede Erinnerung an sein Jahr in Korea verloren hatte. Al­les, was ihm geblieben war, war das Gefühl der Schuld .
    Es passierte im Herbst 53 auf dem Heartbreak Ridge. Johnny war auf Patrouille, und nachdem sein Feldwebel von Scharfschützen getötet worden war, übernahm er den Befehl. Sie waren hinter den kommunistischen Linien – das war die Art von Krieg, in der wir uns befanden. Plötz­lich lag Artilleriesperrfeuer vor ihnen, und als sie versuch­ten wegzukommen, gerieten sie in einen Kessel, der direkt in der Schußlinie eines MG-Nestes lag. Ihre einzige Hoff­nung, mit dem Leben davonzukommen, lag darin, das MG außer Gefecht zu setzen. Genau das tat Johnny. Unter Feuerschutz gelangte er hinter die MG-Stellung und warf eine Handgranate. Das MG war erledigt, aber vier der Feinde lebten noch.
    Es war das erste Mal, daß er so direkt, von Angesicht zu Angesicht, töten mußte. Er war achtzehn Jahre alt. Zwei von ihnen erschoß er, einen weiteren mußte er mit dem Bajonett erstechen. Dabei verlor er sein Sturmgewehr und mußte den letzten erdrosseln. Das waren seine vier ›Op- fer‹, Miss Lacy, die ›Morde‹, deren er schuldig war.
    Er wurde mit einem Schock, sonst aber unverletzt in ein Feldlazarett gebracht. Er war in einem Zustand der Katato­nie, der monatelang anhielt. Sein Erinnerungsvermögen hatte ihn verlassen, er wußte nur noch, daß er ein Mörder war.
    Als wir im Fernsehen von dem Mord an Howard Brock- ton hörten und Johnnys Photo sahen, da wußte ich, wer er war und daß die Polizei hinter dem falschen Mann her war. Ich machte mich sofort mit Dr. Winterhaus, dem Chefpsychiater, auf den Weg. Wir waren beide viel mit Johnny zusammen, und wir sind überzeugt davon, daß er wieder gesund werden wird.«
    Erika hatte mit Staunen und einem immer größeren Glücksgefühl zugehört, aber als sie sich jetzt wieder John­ny zuwandte, sah dieser melancholisch aus.
    »Ich freue mich so für dich, Johnny …«
    »Tja«, sagte er. »Aber du weißt, was das bedeutet, nicht? Es bedeutet, daß ich mit deinem Onkel recht hatte …«
    Sie sah schnell zum Colonel.
    »Dann weiß er es gar nicht. Hat es ihm denn keiner ge­sagt?«
    »Was weiß ich nicht?« fragte Johnny.
    Erika trat an sein Bett und nahm seine Hand.
    »Es war nicht Onkel Bell, Johnny. Es war der arme alte Gabe. Er hat Brockton getötet, der arme, unglückliche Ga­be ...«
    »Gabe?«
    »Ja«, sagte Erika traurig. »Er dachte, er könnte Onkel Bell helfen. Er ging zu Brockton ins Büro und versuchte, mit ihm zu reden. Das Ganze endete damit, daß er Brock- ton mit irgendeinem Werkzeug, das er bei sich trug, über den Schädel schlug. Er war sich nicht einmal im klaren darüber, wie schwer er ihn verletzt hatte. Als er es erfuhr, ging er zu Onkel Bell und erzählte ihm alles.«
    »Armer Gabe«, sagte Johnny voller Trauer. »Was wer­den sie mit ihm machen, Erika?«
    »Onkel Bell hat geschworen, daß er für ihn kämpfen wird. Du kannst von Onkel Bell sagen, was du willst, aber Loyalität ist für ihn so etwas wie eine Religion …«
    »Wo ist er jetzt? Dein Onkel, meine ich.«
    »Er hat gesagt, er würde um vier Uhr hier sein. Er will mit dir über etwas reden. Ich glaube, es handelt sich um dein neues System.« Sie hielt seine Hand noch fester. »Johnny, wenn er dir einen Job anbietet, irgend etwas in der Hauptverwaltung, würdest du es annehmen? Oder würdest du dickköpfig sein?«
    »Ich weiß nicht. Er schuldet mir nichts.«
    »Aber du würdest

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