Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
für die angestaubten und veralteten russischen Archive wieder aufzustocken. Eine der Bedingungen für diese Beihilfe war, dass er die Erlaubnis bekam, im obersten Stockwerk des Paschkow-Hauses eine Reihe von Büros einzurichten. Proteste einiger Architekturpuristen waren an neureichen und neuerdings tauben Ohren abgeprallt.
Die Glocken der nahen Christi-Erlöser-Kathedrale, die durch Stalin zerstört und vor Kurzem wieder aufgebaut worden war, begannen zu läuten und hallten von den umliegenden Häusern wider. Es war gerade neun Uhr geworden. Ihr Interview mit dem Milliardär sollte in zehn Minuten beginnen.
Fiona beschleunigte ihre Schritte ein wenig, stieg die breiten Steinstufen empor und betrat die Haupthalle. Dort hakte ein gelangweilt aussehender Funktionär ihren Namen auf einer Liste ab und schickte sie die große Innentreppe hinauf. Oben warteten zwei strenge Sicherheitsleute, die ihren Ausweis studierten, Kamera und Kassettenrecorder genauestens untersuchten und sie dann durch eine Reihe von Detektoren winkten, um sie auf Waffen und Sprengstoffe zu kontrollieren.
Dann nahmen sie zwei weitere Angestellte, hübsche junge Frauen, unter ihre Fittiche. Mit höflichen, leisen Anweisungen komplimentierten sie Fiona eilig durch das geschäftige Treiben eines größeren Vorzimmers voller Schreibtische, Computer und Menschen, die Daten eingaben oder Kauf- und Verkaufwünsche an die europäischen Aktienbörsen weiterleiteten. Eine der Frauen nahm Fionas Mantel und verschwand. Die andere eskortierte sie in einen etwas kleineren, äußerst kultiviert eingerichteten Raum – Konstantin Malkowitschs Privatbüro.
Drei hohe Fenster an einer Seite boten eine spektakuläre Aussicht auf die angestrahlten Mauern, Türme und goldenen Kuppeln des Kreml. In den Nischen entlang der übrigen Wände des Raumes standen jahrhundertealte russisch-orthodoxe Heiligenikonen, unbezahlbare Originale, die von Einbaustrahlern in der hohen, kunstvoll bemalten Decke sorgfältig ausgeleuchtet wurden. Auf dem Boden lag ein prachtvoller persischer Teppich, der jeden Schritt schluckte. Malkowitschs eleganter Schreibtisch aus dem 18. Jahrhundert stand mit dem Rücken zu den Fenstern. Ein Flachbildschirm und eine Reihe schlanker, ultramoderner Telefone waren die einzigen Zugeständnisse, die in diesem Raum an das 21. Jahrhundert gemacht wurden.
Der Milliardär erhob sich, kam hinter seinem Schreibtisch hervor und ging mit ausgestreckter Hand auf Fiona zu. »Herzlich willkommen, Ms. Devin! Sehr erfreut!«, sagte er mit einem breiten Lächeln, das zwei Reihen makelloser weißer Zähne enthüllte. »Ich bin ein großer Bewunderer Ihrer Arbeit. Der letzte Artikel im Economist – der über die Wettbewerbsvorteile des russischen Flat-Tax-Systems – war besonders gut.«
»Sie sind zu freundlich, Mr. Malkowitsch«, erwiderte Fiona gelassen, während sie seine ausgestreckte Hand nahm und ihn anlächelte. Sie wusste, dass er immer so überschwänglich war, wenn er jemanden beeinflussen wollte. »Schließlich habe ich lediglich in ein paar tausend Worten die möglichen Auswirkungen zusammengefasst. Aber man hat mir gesagt, dass Sie selbst am neuen Steuergesetz mitgewirkt haben?«
Malkowitsch zuckte die Achseln. »Mitgewirkt? Nicht direkt.« Seine Augen funkelten. »Oh, vielleicht habe ich hier und da ein Wörtchen dazu gesagt; mehr aber nicht. Als einfacher Geschäftsmann mische ich mich nie allzu sehr in die Innenpolitik eines Landes ein.«
Diese höfliche Untertreibung ließ Fiona unwidersprochen stehen. Ihren Quellen zufolge konnte dieser Mann dem Anreiz, in der
Politik mitzumischen, ebenso wenig widerstehen wie ein hungriger Löwe einem dicken fetten Lamm.
Malkowitsch war größer, als sie erwartet hatte. Sein dichtes weißes Haar trug er oben lang, an den Seiten und im Nacken jedoch kurz geschnitten. Die hohen Wangenknochen und die hellblauen Augen verrieten seine slawische Abstammung. Während der Jahre, die er in Großbritannien und Amerika verbracht hatte, zunächst als Student in Oxford und Harvard und später als höchst erfolgreicher Geschäftsmann, Investor und Rohstoffspekulant, hatte er sich die englische Sprache angeeignet, wenn seine Sprechweise auch etwas abgehackt und die Vokale ein wenig flach waren.
»Aber setzen Sie sich doch bitte«, sagte Malkowitsch, indem er auf zwei bestickte Lehnstühle deutete, die vor seinem Schreibtisch standen.
Als Fiona auf einem der Stühle Platz genommen hatte, ließ Malkowitsch sich lässig
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