Das Moskau Virus: Roman (German Edition)
hatten die tote Frau auf die Bahre geschnallt
und hoben sie an. »Achte auf ihr linkes Bein«, hörte Smith den einen barsch zum anderen sagen. »Sonst kommst du noch mit dem giftigen Zeug in Berührung.«
Giftiges Zeug? Jon gefror das Blut in den Adern. Er musste an den jungen »Betrunkenen« denken, der mit Dr. Wedenskaja zusammengestoßen war und sie »versehentlich« mit der Spitze seines eingerollten Schirms verletzt hatte. Plötzlich ergaben all die hässlichen Symptome, die er aufgezählt hatte, einen Sinn: Atemstillstand, Krämpfe, verengte Pupillen und schließlich komplettes Herzversagen.
Mein Gott, dachte er entsetzt. Man muss ihr irgendein schnellwirkendes tödliches Nervengift verabreicht haben, wahrscheinlich so etwas wie Sarin oder VX. Schon ein einziger Tropfen dieser giftigen Verbindungen konnte, auf die nackte Haut aufgebracht, zum Tode führen. Und VX oder Sarin direkt in den Blutstrom zu leiten, war sogar noch effektiver.
Unvermittelt schaute er auf und sah, dass der bleiche Arzt ihn mit einem gleichgültigen, berechnenden Gesichtsausdruck betrachtete.
Smith wich einen Schritt zurück.
Kalt lächelnd zog der Mann mit dem weißen Kittel eine kleine, kompakte Pistole aus der Tasche – eine Makarow PSM, ein russischer Nachbau der Walther PPK. Er winkelte den Arm ein wenig an und zielte direkt auf das Herz des Amerikaners. Dann schüttelte er langsam den Kopf. »Ich hoffe, Sie werden nicht versuchen, eine Dummheit zu machen, Colonel Smith. Sonst bin ich gezwungen, Sie und die reizende Ms. Devin umzubringen. Und das wäre jammerschade, nicht wahr?«
Wütend auf sich selbst, weil er die Warnzeichen, die auf diesen Hinterhalt hingedeutet hatten, nicht erkannt hatte, schnitt Smith eine Grimasse.
Der andere Mann war knapp außerhalb seiner Reichweite. Aus den Augenwinkeln sah er, dass der Fahrer des Rettungswagens,
ebenso bullig und kaltschnäuzig wie die anderen, aus der Führerkabine geklettert war. Dieser Mann stand nun dicht hinter Fiona Devin und drückte ihr eine Pistole in den Rücken.
Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren, entweder aus Wut oder Angst oder einer Mischung aus beidem.
Smith zwang sich, ganz ruhig stehenzubleiben. Demonstrativ zeigte er seine offenen, leeren Hände. »Ich bin unbewaffnet«, sagte er knapp.
»Eine vernünftige Entscheidung, Colonel«, meinte der Arzt beifällig. »Niemand hat etwas davon, wenn Sie sinnlos den Helden spielen.«
Die beiden Sanitäter schoben Elena Wedenskajas verhüllten Leichnam unsanft hinten ins Auto. Dann drehten sie sich um und warteten auf weitere Befehle.
»Bitte, steigen Sie ein«, sagte der bleiche Mann leise. »Ms. Devin zuerst.«
Wie betäubt kletterte Fiona in den Rettungswagen. Die Bahre nahm den Platz in der Mitte ein, ansonsten gab es nur zwei schmale Bänke, an jeder Seite eine. Sie wählte die linke Bank und rutschte bis zum Ende durch. Nach ihr zwängte sich einer der bulligen Sanitäter ins Auto. Schwerfällig und umständlich ließ er sich auf der gegenüberliegenden Bank nieder, dann zog er eine Pistole, um sie in Schach zu halten.
»Und jetzt Sie, Colonel.« Mit einem Kopfnicken deutete der Notarzt ins Wageninnere. »Setzen Sie sich neben Ms. Devin. Aber achten Sie darauf, dass wir stets Ihre Hände sehen können. Sonst wird Dmitri nervös, fürchte ich, und dann sind Sie am Ende leider genauso tot wie die arme Frau Dr. Wedenskaja hier.«
Nach wie vor wütend auf sich selbst gehorchte Jon. Er rutschte auf der Bank zu Fiona hin. Mit einem undeutbaren Ausdruck in den blaugrünen Augen sah sie ihn an. Die Mappe mit Wedenskajas Aufzeichnungen hielt sie noch in der Hand.
»Nicht sprechen«, brummte der Sanitäter in stark akzentuiertem
Englisch und unterstrich seine Forderung mit einer eindeutigen Bewegung seiner Pistole.
Fiona zuckte kurz mit den Achseln und wandte wortlos den Blick ab.
Smith grämte sich innerlich. An ihrer misslichen Lage war hauptsächlich er Schuld. Wenn er sein sinnloses Bemühen, Elena Wedenskajas Leben zu retten, früher abgebrochen hätte, wäre es ihnen vielleicht gelungen, der Falle zu entkommen, ehe sie zuschnappte.
Der hagere, bleiche Doktor quetschte sich als Letzter in den engen Innenraum und nahm den beiden Amerikanern gegenüber Platz, eingeklemmt hockte er neben seinem viel größeren Kollegen. Mit einem kleinen, zynischen Lächeln richtete er seine Pistole auf Jons Brust.
Der zweite Sanitäter und der bullige, kaltschnäuzige Fahrer knallten die Türen zu und schlossen die vier im
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