Das Multiversum 2 Raum
zuckte die Achseln. »Ich bin zwanzig Jahre vor Ihnen zurückgekehrt. Wenn er seine Ankündigung wahrgemacht hat und gleich ins System zurückgekehrt ist, nachdem wir uns getrennt hatten, hätte er schon vor ein paar Jahrhunderten hier eintreffen können. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.«
Madeleine musterte sie. »Sie machen sich Sorgen. Die Zeit, die wir auf der Kanonenkugel verbracht hatten …«
»Das trifft es nicht ganz. Eher fühle ich mich schuldig.« Sie lachte. »Schuld: Das große Patent der katholischen Kirche.«
»Und deshalb arbeiten Sie hier so hart.«
»Psychoanalyse, Madeleine?«, fragte Dorothy. »Ich arbeite auch, um zu leben – wie wir alle. Aber es stimmt, ich habe Malenfant auf der Kanonenkugel im Stich gelassen. Ich war Priesterin. Wenn ein Mensch jemals Seelenqualen verspürt hat, dann war es Reid Malenfant. Und ich vermochte ihm nicht zu helfen.«
Madeleine verzog das Gesicht. »Was auf der Kanonenkugel passiert ist, betraf nur Malenfant, Dorothy. Mit Ihnen hatte das nichts zu tun. Sie haben sich nichts vorzuwerfen. Malenfant war ein Opfer. Ein Werkzeug der Gaijin, das durch die Galaxis gezerrt 611
wurde. Im Rahmen eines Plans, den wir immer noch nicht kennen. Wieso hätte er sich damit belasten sollen?«
»Weil er wusste oder zumindest glaubte, dass es das einzig Richtige war, wenn die Gaijin sich eine Chance ausrechneten …« – sie wies auf den dräuenden Himmel –, »… das hier abzuwenden. Die Kolonisierungswellen, die Kriege, die Verwüstung von Welten und Ausrottung von Arten. Solang auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg bestand, hätte Malenfant nicht gezögert, sich zu opfern.«
»Aber er ist doch auch nur ein Mensch. Wieso sollte er sein Leben hingeben? Würden Sie das denn tun?«
Dorothy seufzte. »Mich dürfen Sie das nicht mehr fragen. Würden Sie es denn tun?«
»Ich weiß nicht.« Madeleine lief es kalt den Rücken hinunter.
»Armer Malenfant.«
»Wo auch immer er ist, und was auch immer aus ihm wird, ich hoffe, dass er nicht allein ist. Sogar Christus hatte den Trost Seiner Familie am Fuß des Kreuzes. Sie haben Flüchtlinge mitgebracht, nicht wahr?«
Madeleine grunzte. »Soweit ich weiß, ist hier jeder ein Flüchtling. Aber hier sind wir so sicher wie an jedem anderen Ort.«
Dorothy stieß ein bellendes Lachen aus. »Sie begreifen es immer noch nicht, oder? Offensichtlich haben Sie nicht mit Nemoto gesprochen … Sie lebt noch immer. Wussten Sie das? Viele Jahrhunderte alt … Von allen Orten ausgerechnet dieser – Merkur als letzte Zuflucht der Menschheit? Falsch.«
»Merkur befindet sich tief im inneren System. So nah an der Sonne, dass es den Gaijin zu ungemütlich ist.«
»Aber die Gaijin sind nicht der Feind«, zischte Dorothy. »Sie müssen die größeren Zusammenhänge erfassen, Madeleine. Wir glauben zu wissen, wie diese Zerstörer arbeiten. Sie manipulieren den Zielstern und verwandeln ihn in eine Nova. Eine Sternenexplosion, die in ein paar Tagen so viel Energie freisetzt wie ein 612
Stern in zehntausend Jahren. Die Zerstörer ernähren sich von dem Lichtpuls«, sagte Dorothy. »Dann brechen sie mit ihren Sonnensegel-Schiffen zu neuen Systemen auf. Sie verbreiten sich wie Sporen eines aufgeplatzten Pilzes und hinterlassen verbrannte und zerstör-te Planetensysteme. Wir hatten immer geglaubt, Novae seien natürliche Vorgänge. Eine Panne im Fusionsprozess eines Sterns, die vielleicht durch eine Materiezufuhr von einem anderen Stern verursacht wurde. Nun fragen wir uns, ob überhaupt eine Nova, die wir in der Geschichte beobachtet haben, natürlich war. Vielleicht sind für alle Novae die Zerstörer verantwortlich – oder andere irre Spezies wie sie.«
Nun begriff Madeleine. »Wie verwandelt man einen Stern in eine Nova?«
»Im Prinzip ist das ganz einfach. Man positioniert eine Kette lei-stungsstarker Teilchenbeschleuniger im Orbit um den Zielstern.
Sie erzeugen Ströme geladener Teilchen, die wiederum ein Magnetfeld erzeugen, das den Stern einhüllt – und dieses Feld kann dann manipuliert werden.«
»Aha. Aber man brauchte doch eine Ressourcenbasis, um diese Tausende oder Millionen Maschinen zu produzieren. Und einen Ort, an dem man eine neue Generation von Sonnensegel-Schiffen baut.«
»Ja. Madeleine, was wäre hier im Sonnensystem der ideale Ort für solch eine Mine?«
Eine Gesteinswelt, nicht allzu weit vom Zentralgestirn entfernt.
Ein dicker, fetter Kern aus Eisen und Nickel, der geradezu danach schreit,
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