Das Muster der Liebe (German Edition)
Nacht in ihr Schlafzimmer kam.
“Paul hat gerade eben angerufen. Tammie Lee liegt in den Wehen.”
“Jetzt?”
“Haben Babys jemals darauf geachtet, zu einer anständigen Uhrzeit auf die Welt zu kommen?”
Offenbar erwartete er darauf keine Antwort. “Was hat Paul gesagt?”
“Nur, dass sie seit zehn Uhr im Krankenhaus sind.”
Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es beinahe fünf Uhr war.
“Sie steht kurz vor der Geburt”, sagte er.
Jacqueline zögerte nicht. Sie schlug die Decke zur Seite und griff nach ihrem Morgenmantel.
“Willst du wirklich in die Klinik fahren?” Reese klang überrascht.
“Natürlich!” Ihretwegen konnte er machen, was er wollte – das hatte er schließlich in den letzten zwölf Jahren ihrer Ehe nicht anders getan. Aber nichts, was er sagte, würde sie davon abhalten, die Geburt ihrer ersten Enkeltochter mitzuerleben. Schon stand sie auf und ging in Richtung Badezimmer.
“Ich komme auch mit”, erklärte er und klang, als würde er Widerworte erwarten.
“Tu, was immer du willst.”
Er ignorierte den gereizten Unterton in ihrer Stimme. “Beeil dich”, entgegnete er. “Paul hat gesagt, dass es jeden Moment so weit sein könnte.”
“Ich bin in zehn Minuten fertig.” Normalerweise war diese Zeitangabe beliebig dehnbar, aber heute wollte sie auch zu ihrem Wort stehen. Exakt dreizehn Minuten später traf sie ihren Mann wieder, der bereits im Wagen in der Garage wartete.
Auf dem Weg zum Krankenhaus schwiegen beide. Jacqueline fragte sich, ob er wohl dasselbe dachte wie sie. Es war eine Nacht wie diese, in der sie zum Hospital gefahren waren, weil sie mit Paul in den Wehen lag. Mitten in der Nacht platzte damals ihre Fruchtblase, und in ihrer Panik, dem Baby schaden zu können, klammerte Jacqueline sich an Reese. Sie machte sich Sorgen, dass die Nabelschnur sich bei einer falschen Bewegung um Pauls Hals wickeln könnte.
Geradezu heldenhaft hatte Reese sie auf den Arm genommen, zum Auto getragen und ins Krankenhaus gebracht. Zum Glück war auf den Straßen nicht viel Verkehr, denn Reese nahm die Kurven in einem Tempo, das so manchem Rennfahrer die Tränen in die Augen getrieben hätte. Dann trug ihr Held sie in den Wartebereich des Krankenhauses. Er war an ihrer Seite geblieben, bis Paul das Licht der Welt erblickt hatte. Wenn sie heute die Augen schloss, konnte sie noch immer hören, wie ihr Sohn seinen ersten Schrei tat. Damals war es die schönste Melodie, die sie jemals gehört hatte.
Als sie am Krankenhaus ankamen, hasteten sie zum Informationsschalter und wurden in den fünften Stock geschickt.
Eine Schwester bot ihnen an, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Während Jacqueline die Magazine durchblätterte, ging Reese los, um irgendwo einen Kaffee aufzutreiben.
Keine fünf Minuten später kehrte er mit zwei dampfenden Bechern zurück. “Das ist Automatenkaffee”, erklärte er und zuckte die Schultern.
Das interessierte sie im Augenblick überhaupt nicht – Hauptsache, er war heiß und enthielt Koffein.
Die beiden saßen zwei Stühle entfernt voneinander in dem kleinen Warteraum und nippten an ihrem schalen Getränk. Eine halbe Stunde und drei Magazine später kam Paul in einem hellblauen Krankenhauskittel zu ihnen. Er wirkte müde, doch seine Augen funkelten, als er seine Eltern sah.
“Tammie Lee macht das ganz großartig”, erzählte er. “Das Baby wird wahrscheinlich in der nächsten Stunde zur Welt kommen.”
“Schön.”
“Möchtest du bei der Geburt im Kreißsaal sein?”, fragte er seine Mutter.
“Ich?” Sie schüttelte den Kopf. Das war ein intimer Moment zwischen ihrem Sohn und seiner Frau, und sie wollte nicht stören. Ganz zu schweigen davon, dass Geburten äußerst unschön sein konnten …
“Sicher. Aber nur, wenn du möchtest”, sagte Paul und wirkte aufgeregt. “Tammie Lee hat gesagt, du bist herzlich willkommen, Mom.”
Jacqueline konnte sich nicht daran erinnern, wann sie ihren Sohn zum letzten Mal so glücklich gesehen hatte. “Wenn es euch nichts ausmacht, warte ich lieber hier. Aber du sagst doch sofort Bescheid, wenn das Baby geboren ist, oder?”
“Du und Dad werdet die Ersten sein, denen ich es sage.”
Dann ging Paul zu seiner Frau zurück. Jacqueline und Reese waren wieder allein. Sie ignorierten einander, tranken ihren mittlerweile kalten Kaffee und sahen sich alte Zeitschriften an.
“Erinnerst du dich an die Nacht, in der Paul geboren wurde?”, fragte Reese unvermittelt.
Jacqueline lachte leise.
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