Das mysteriöse Pergament 01 - Begegnungen (German Edition)
Normannen fiel. Dann nahm ich ihm Helm, Kettenhaube
und die Lederkappe ab. Seine Haare klebten schweißnass am Kopf. Ich öffnete
meinen Wasserschlauch und goss ihm kurzer Hand einen Schwall des lauwarmen
Wassers ins Gesicht. Danach gab ich ihm zu Trinken.
„Danke“, stöhnte Sven, „geht gleich wieder. Verdammte Sonne.
Ist nicht mein Wetter.“
„Sturm und Regen ist Euch jedenfalls lieber, ich weiß. Gegen
einen ordentlichen Regenguss hätte ich jetzt auch nichts einzuwenden.“
„Was gäbe ich jetzt für einen S-hneeball.“
„Jedenfalls scheint sein Gehirn noch nicht ganz verdampft zu
sein“, konstatierte Rainulf.
„Das fühlt sich aber ganz so an“, erwiderte Sven stöhnend.
Rainulf lachte rau. „Ich habe Männer gesehen, die wegen der
Hitze durchgedreht sind. Du kannst wenigstens noch klar denken. Wickelt ihm
einen nassen Lappen um den Kopf, dann wird das schon wieder.“
Nach der Rast ging es dem Normannen tatsächlich besser, aber
er war noch immer hochrot im Gesicht.
Mit seinem Kopfwickel, den er ab und zu wieder mit Wasser
tränkte, sah er aus wie ein Verletzter.
Auch ich goss mir etwas Wasser über den Kopf und legte mir
einen nassen Lappen unter den Helm, bevor ich ihn wieder aufsetzte. Die
Kettenhaube hatte ich einfach nach hinten gestreift. So war es wesentlich
angenehmer. Langsam verstand ich, warum die Einheimischen lieber Turbane
trugen, selbst unter dem Helm.
Ziemlich erschöpft kamen wir endlich vor den Mauern
Jerusalems an.
Das also war die Heilige Stadt. Die Stadt, um die sich seit
Jahrhunderten Christen und Moslems stritten. Es war hundertdreißig Jahre her,
seit es einem Christenheer gelungen war, die Stadt einzunehmen.
Über die mächtigen Mauern ragten unzählige Türme hinaus, am
Auffälligsten war das goldene Kuppeldach des Felsendoms. Es war ein erhabener
Anblick, viele Kreuzfahrer sanken ergriffen auf die Knie und falteten die
Hände.
Der Kaiser ritt in der ersten Linie, als sich das Heer
näherte. Auf den Zinnen erschienen unzählige Bogenschützen und die Tore wurden
eilig geschlossen.
Ich zweifelte stark daran, dass wir die Stadt gewaltsam einnehmen
könnten, aber wie sich herausstellte, hatte der Kaiser auch gar nicht vor,
Jerusalem im Sturmangriff zu nehmen oder sich auf eine lange Belagerung mit
sehr ungewissem Ausgang einzulassen. Stattdessen setzte er auf Verhandlungen
und schickte hochrangige Gesandte sowie Geschenke als Zeichen seines guten
Willens zu Sultan al-Kamil. Dieser hielt ihn zunächst hin und die Verhandlungen
zogen sich in die Länge.
Im zweiten Mond, dem Hornungmond des Jahres 1229, war es
dann so weit. Die beiden großen Heerführer trafen sich zur Verhandlung auf
offenem Feld unter einem Baldachin, der zwischen den Truppen des Sultans und
dem des Kaisers aufgestellt worden war.
Zum Erstaunen der Beobachter auf Seiten des
Kreuzfahrerheeres ließen sich die beiden Heerführer gemütlich auf seidenen
Kissen nieder und plauderten miteinander wie alte Freunde.
„Was tun die da so lange?“, fragte irgendwann ein jüngerer
Ritter, der langsam ungeduldig wurde – genauso wie wir alle.
„Sie spielen Schach“, antwortete lakonisch Rainulf von Aversa.
„Das ist ein strategisches Brettspiel.“
„Sie spielen?“, fragte der junge Ritter ungläubig.
„Ja und nein. Es ist das Spiel der Könige, sagt man“,
antwortete der Graf vieldeutig.
„Unser Kaiser ist nicht nur der arabischen Sprache mächtig,
er kennt auch die Mentalität der Araber“, erläuterte der Graf, als er unsere
fragenden Minen sah. „Die Sarazenen lieben es nicht, mit der Tür ins Haus zu
fallen und sofort zur Sache zu kommen. Geduld gilt bei ihnen nicht als
Zeitverschwendung, sondern als hohe Tugend.“
Nach einer endlos erscheinenden Zeit kippte der Sultan
al-Kamil seinen König um und gab sich geschlagen. Beide Herrscher erhoben sich,
umarmten sich zu unserer Verblüffung und verabschiedeten sich überaus höflich
und wortreich voneinander.
Friedrich trat vor das versammelte Christenheer, breitete
die Arme aus und rief mit weittragender Stimme: „Jerusalem ist unser!“
Einen Moment herrschte Totenstille. Dann wurde der Ruf
weiter getragen und es brach ein unbeschreiblicher Jubel aus.
„Jerusalem!“, brüllte es aus tausenden Kehlen. „Jerusalem!“
Angesichts der Heerscharen des Sultans, die jetzt geordnet
abrückten, waren so manchem tapferen Kreuzfahrer ernsthafte Zweifel gekommen.
Wenn man es nüchtern betrachtete, wäre die gewaltsame Einnahme der
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