Das mysteriöse Pergament 02 - Irrwege (German Edition)
oft
aufhielten. Sollte der Dämon ihn etwa betrogen haben? Das Herz krampfte sich
ihm zusammen.
In diesem Moment öffnete sich die Tür und die Zwillinge
stürzten auf ihn zu. Mit grenzenloser Erleichterung fing er sie mit seinen
Armen auf und wirbelte sie herum. Im Türrahmen stand lächelnd seine Frau.
Die Kinder waren quicklebendig und erzählten aufgewühlt und
sich gegenseitig ins Wort fallend von ihren Abenteuern, die sie mit einem
kleinen gelben Mann erlebt hätten. Lustige Spiele hatte er mit ihnen
gespielt und ihnen spannende Geschichten erzählt. Auch hätten sie komisch
zubereitete Speisen gegessen, die aber wunderbar schmeckten. Der kleine Mann hatte
ihnen erzählt, sie müssten für ein paar Tage bei ihm bleiben, weil seine Eltern
eine kleine Reise machen würden.
Melchior konnte ein Schaudern nicht verhindern, wenn er sich
vorstellte, dass seine Kinder mehrere Tage in der Gewalt dieser Monster waren.
„Aber ihr habt euch nicht von uns verabschiedet“, maulte das
kleine Mädchen.
„Jja, weißt du, wir – äh – mussten ganz schnell los – äh –
und haben das ganz vergessen…“, stammelte er.
„Zuerst hatte ich ein wenig Heimweh“, gestand der Junge,
„aber der kleine Mann war sehr nett. Dann kam noch ein anderer Mann. Der hatte
ein ganz großes Schwert.“ Er breitete die Arme aus, um die Ausmaße der Waffe
anzudeuten.
„Der hat aber fast gar nichts gesagt“, plapperte seine
Schwester dazwischen. Dann sah sie ihren Vater kritisch an und fragte
überrascht und etwas ängstlich: „Papa, warum weinst du?“
*
Zur gleichen Zeit, als sich der Henker auf den Heimweg machte,
nahmen die Totengräber ihre Schaufeln auf. Gerade als sie ihre Arbeit beginnen
wollten, trat ein junger Edelmann auf sie zu.
„Grabt sie aus, so schnell ihr könnt“, sprach er die
erstaunten Männer an. Er warf beiden eine Münze zu, die ihre Augen aufleuchten
ließ und ein breites Grinsen auf ihre wettergegerbten Gesichter zauberte.
„Aber ohne ihre sterbliche Hülle zu verletzten. Wenn sie
auch nur eine Schramme bekommt, werdet ihr heute ebenfalls begraben“, ergänzte
der junge Ritter.
Die Münzen und die Drohung taten ihre Wirkung. So flink sie
konnten, gruben sie die Erde um die Verurteilte herum auf. Ein junger Mann
sprang hinzu und half ihnen mit den Händen, die Erde um den Körper des Mädchens
zu entfernen. Erstaunt erkannte Conrad den jungen Handwerksburschen, den er in
der Schenke verprügelt hatte. Der junge Ritter hielt das zusammengesunkene
Mädchen fest, bis er es aus der Grube ziehen konnte.
„Ich nehme sie mit“, sagte er zu den Totengräbern, die
gleichgültig mit den Achseln zuckten. Ihnen konnte es nur recht sein.
Vorsichtig trug Conrad den schlaffen Körper zu einem mit
Stroh ausgepolsterten Planwagen, bettete Line hinein und ließ die Plane
hinunter, um neugierige Blicke auszusperren.
„Rettet sie, Herr“, sagte neben ihm eine leise Stimme.
Conrad fuhr herum und sah in das ernste Gesicht des
Handwerksburschen Caspar, dessen Kinn noch deutliche Spuren von seiner Faust
trug.
„Was faselst du da“, sagte er streng, aber ebenso leise.
„Willst du noch einmal meine Faust spüren?“
„Verdient hätte ich es“, entgegnete der Handwerksbursche.
„Wenn du auch nur ein Wort…“, zischte Conrad.
„Keine Sorge“, sagte Caspar aufrichtig, legte zwei Finger
auf die Lippen und danach aufs Herz. „Ich schwöre“.
Conrad sprang auf sein Streitross und ritt an die linke
Seite des Wagens, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte.
Im Wagen kümmerte sich bereits ein jüdischer Arzt um die
Patientin, den Li Chan in Wetzlar angeheuert hatte. Das Gefährt hatte er mitsamt
den Zugpferden von einem Bauern aus einem Dorf bei Wetzlar geliehen, der für
gutes Geld Verschwiegenheit schwor.
Nach einer Weile stieß Li Chan auf dem braunen Wallach zu
ihnen, nickte Conrad zu und flankierte den Wagen auf der anderen Seite. Er
grinste wie ein Lausbube nach einem gelungenen Streich.
„Ich doch gesagt haben, Henker stellen Tod fest, aber
Mädchen leben“, triumphierte der Chinese.
„Das war aber verdammt knapp, Line ist mehr tot als
lebendig.“
„Das war Plan“, der kleine Mann zuckte mit den Schultern,
„sonst hätte nicht geklappt.“
Conrad schämte sich noch immer, sich an einer so
unritterlichen Tat wie der Entführung zweier Kinder beteiligt zu haben. Er
wusste, dass Line es niemals gut geheißen
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