Das mysteriöse Pergament 03 - Heimkehr (German Edition)
forderte er Conrad auf und
ritt los.
Conrad blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Den
Schecken zog er an der Leine hinterher. Dabei verwischte der Zweig ihre Spuren.
Einen Moment erwog Conrad, Li Chan könnte ins Lager
zurückgehen und Constance informieren, was passiert war. Aber den Gedanken
verwarf er sofort wieder. Damit brachte er seine Schwester nur unnötig in
Gefahr. Es war besser, wenn sie vorerst ahnungslos war, sonst tat sie vielleicht
etwas Unüberlegtes. Außerdem hatte er Hoffnung geschöpft, Line mit Hilfe von Li
Chan zu finden, denn sein chinesischer Freund schien ein besserer Spurenleser
als er selbst zu sein.
Zunächst ritten sie auf demselben Weg zurück, auf dem sie
gekommen waren, dann kreuzten sie die deutlich sichtbare Fährte von Arnulfs
Reitertrupp und ritten in südlicher Richtung weiter. Als sie den Ort
erreichten, wo Conrad auf Lines Verfolger gestoßen war, stieg Li Chan ab und
betrachtete eingehend die von Conrad ins Gebüsch geschleiften Leichen.
Verwundert sah Conrad ihm zu. Wollte sein Freund sich
überzeugen, dass sie wirklich tot waren?
„Der hier“, sagte Li Chan bestimmt, „der ist groß wie du.
Haare etwas dunkler, aber nicht viel.“
„Ja und?“, fragte Conrad verständnislos.
„Du mir vertrauen?“
„Das hast du mich schon mal gefragt“, meinte Conrad
skeptisch, „ich hoffe, du hast nicht wieder etwas völlig Unritterliches vor.“
Der Chinese erwiderte nichts, sah ihn nur ernst an. „Ich
deinen Waffengurt und deinen Waffenrock brauchen.“
Entgeistert starrte Conrad seinen Freund an. „Hast du den
Verstand verloren?“
„Nein. Ich habe Verstand noch. Sie glauben müssen, du tot.
Sonst sie geben keine Ruhe. Vielleicht sie benutzen Constance als Geisel, wenn
Conrad weiß, du lebst. Was du dann machen?“
Als er Conrads ratloses Gesicht sah, wiederholte er seine
Forderung. Dann erklärte er, was er vorhatte. „Wir ziehen dem Mann an deine
Sachen und geben deine Waffen. Dann sie werden glauben, du tot.“
Unwillig legte Conrad seine Waffen und seine Kleidung ab.
„Du dich zieren wie alte Jungfrau“, bemerkte Li Chan und
reichte ihm Kleidung und Waffen des erschlagenen Waffenknechts.
Wohl oder Übel musste Conrad die Kleidung des Toten
anziehen. Widerwillig tat er seinem Freund den Gefallen. Noch schwerer fiel es
ihm, sich zum zweiten Mal von seinem kostbaren Schwert zu trennen.
„Das ist doch zwecklos“, wandte er ein, „der Kerl sieht mir
doch gar nicht ähnlich. Arnulf wird sofort erkennen, dass nicht ich es bin.
Erst recht Constance, denn sie lässt ganz bestimmt nicht zu, dass ich hier im
Wald verscharrt werde. Sie wird die Leiche sehen wollen. Der Trick wird nicht
funktionieren.“
„Nein“, sagte Li Chan ruhig, „so nicht.“ Er hob das Schwert
eines anderen Toten auf. „Du solltest jetzt nicht hinsehen. Am besten, du gehst
ein Stück.“
Zu Conrads Entsetzten ging Li Chan zu dem verkleideten
Leichnam und begann, auf ihn einzuhacken. Er verletzte Arme und Beine und
verstümmelte das Gesicht des Toten dermaßen, dass es nicht mehr zu erkennen
war.
Als er sein grausiges Werk vollendet hatte, fragte er
seelenruhig: „Hast du ein Merkmal, an dem man dich könnte erkennen? Ein
Muttermal, eine Narbe, die Constance kennt?“
„Nein“, Conrad brachte kaum einen Ton heraus. Er würgte. Es
war eine Sache, einen Feind zu erschlagen. Aber einen Leichnam zu verstümmeln
war eines Ritters unwürdig.
Li Chan erriet unschwer die Gedanken seines Freundes.
„Manchmal muss man tun, was nötig. Auch wenn es fällt schwer.“
Auch wenn es ihm widerstrebte, das zu akzeptieren, so musste
Conrad doch einsehen, dass Li Chan das einzig Vernünftige getan hatte. Nur wenn
Arnulf glaubte, er wäre tot, war Constance sicher. Dann hatte er keinen Grund,
ihr etwas anzutun. Wenn Conrad tot war, Line verschwunden und Constance arglos,
hatte Arnulf erreicht, was er wollte.
Das gab ihm selbst die nötige Zeit, Line zu finden und einen
Plan zu entwickeln, Arnulf zur Strecke zu bringen.
So wie sein angeblicher Leichnam jetzt aussah, würde niemand
daran zweifeln, dass es Conrad war. Außer vielleicht Constance, aber Conrad
hoffte, sie würde den schrecklichen Anblick nicht ertragen und nicht zu genau
hinsehen.
„Unser Feind ist kein ehrenhafter Ritter. Wir es uns nicht
können leisten, ritterlich zu handeln“, sagte Li Chan.
Conrad nickte seinem Freund zu und legte ihm eine Hand auf
die Schulter. „Du hast richtig gehandelt. Nur um mein
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