Das Mysterium: Roman
ich bedaure es, daß du so etwas mit ansehen mußtest.«
|165| »Es war Amiel von Ax! Bald werden sie ihn verbrennen. Der Inquisitor hat ihn im Gewahrsam, Amiel wird seine Untaten gestehen.
Die Inquisition hat ihre Methoden.«
Nemo grinste. »Mag sein, daß ein Mann hingerichtet wird. Amiel von Ax ist es nicht. Er ist auch nicht beim Inquisitor gefangen.
Ich war gerade erst mit ihm auf den Wiesen vor der Stadt und bringe nun Fische für unsere Mahlzeit. Glaube mir!«
Adeline hielt den Atem an. Was, wenn er recht hatte? Wenn Amiel sich auf freiem Fuß befand? Heinrich hatte er auch mit Leichtigkeit
aus der Zelle befreit. »Bist du sicher?« fragte sie.
Ein Mann stellte sich vor sie. »Seid Ihr Adeline?« Er hatte lange Wimpern und einen weichen Mund. Sein Gesicht wirkte beinahe
weiblich. Knochen knurrte und duckte sich zum Sprung.
»Ja«, sagte sie. »Und wer seid Ihr?« Sie sah ihn zum erstenmal.
»Bartholomäus«, sagte er. »Ich soll Euch dies hier geben.« Er reichte ihr einen Tonkrug, dessen Öffnung mit einem Lederlappen
zugebunden war.
Heinrich sagte: »Ich muß weiter. Amiel wartet auf die Fische. Habe mich gefreut, dich zu sehen!« Er rührte noch einmal kurz
an ihren Arm, dann ging er.
»Ich mich auch!« rief sie ihm hinterher.
Bartholomäus lächelte. »Mein Herr sendet es als kleine Erinnerung.« Er verbeugte sich, warf noch einen verunsicherten Blick
auf die Bracke und verließ sie ebenfalls.
Welcher Herr? Sie zog den Lederlappen vom Krug. Der Inhalt stank erbärmlich. Fliegen stiegen aus der Öffnung auf und summten
davon.
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Er lief die Leimgasse hinunter, die Sonne strahlte ihm ins Gesicht, und alles, woran er denken konnte, war Adelines Hand.
So weich war sie gewesen, so klein! Er sehnte sich danach, sie wieder zu halten. Einen kaiserlichen Jäger hatte Adeline abgewiesen
– ihm aber schenkte sie Wohlwollen.
Vor der Brauerei der Familie Rueßwurm stand ein Bierkarren. Fässer wurden über die Rampe hinaufgerollt. Die stämmigen Brauereipferde
stampften mit den Hufen auf das Straßenpflaster. Ihnen wuchs Fell an den Flanken; es ließ sie um so kräftiger erscheinen.
Nemo passierte die Pferde und kam zum Nachbarhaus. Glockenhell drang das Hämmern des Goldschmieds aus der Werkstatt. Es war
ein feines Haus, die Balken schwarz mit Pech überzogen, die Wandabschnitte dazwischen weiß getüncht. Wein rankte an der Mauer
empor.
Durch die Toreinfahrt trat er in den Hof. Neben dem moosbewachsenen Brunnen schnatterten die Gänse im Verschlag, als wollten
sie Nemo begrüßen. Der Brunnen war ein großes Glück: Er gehörte zum Haus; während die anderen am Morgen beim Straßenbrunnen
Schlange standen, konnte er hier Wasser schöpfen. Seine anderen Aufgaben: Amiel die Stiefel auszuziehen, Waschwasser zu bringen,
einen Botendienst zu erledigen. Es war ihm mehr als recht. Auf diese Weise gab es Gelegenheiten, Gespräche zu belauschen oder
unauffällig Fragen zu stellen. Nach und nach würde er Amiel auf die Schliche kommen.
Er ging die Außentreppe hinauf. Als er im Dachgeschoß angelangt war, drehte er sich um. Nur wenige Häuser besaßen drei Stockwerke,
er konnte herrlich über die Dächer schauen. Das Eremitenviertel überblickte er bis zum Augustinerkloster, |167| deutlich war die alte Stadtmauer zu sehen und die Brücke, die den alten Stadtgraben und die Mauer überspannte. Da befand sich
der Abort der Augustiner, sie ließen ihre Exkremente einfach in den Bach hinunterfallen, oft genug schimpften die Tuchfärber
darüber. Dabei brauchten die Augustiner ja selbst das frische Wasser für ihre Brauerei! Der kaiserliche Mundschenk kaufte
ihr Bier, Ludwig zog es allen anderen Brauereien vor.
Nemo kehrte sich zur Tür um. Er stutzte. Jemand hatte Lumpen um die Angeln gewunden, und auch die Kanten der Tür waren mit
Lumpen bedeckt. Er öffnete die Tür. Sie quietschte nicht mehr. Lautlos schwang sie auf, und lautlos schloß sie sich hinter
ihm. Amiel mußte zusätzlich zu den Lumpen veranlaßt haben, daß die Angeln geölt wurden. Warum das alles?
Ein Mann mit Doppelkinn und hundert Zöpfen trat auf ihn zu. »Endlich die Fische! Wo hast du dich so lange rumgetrieben?« Er
riß ihm das Bündel aus der Hand, rollte es auf, legte die Fische säuberlich nebeneinander auf den Tisch.
»Ich bin Nemo, Amiels Leibdiener. Wer –«
»Schön. Mach dich nützlich, Nemo«, unterbrach ihn der Mann. »Schneide ihnen die Köpfe ab. Dann schlitzt
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