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Das Orakel von Port-nicolas

Das Orakel von Port-nicolas

Titel: Das Orakel von Port-nicolas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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ihr zu sagen, daß Louis Kehlweiler sie zu sehen wünsche?
    Die Sekretärin brachte die Nachricht auf den Weg, und Louis setzte sich in einen scheußlichen gelben Sessel. Er war mit sich zufrieden, er hatte alles gut gemacht, höflich, wie es gute Sitte ist. Er würde hallo sagen und mit dem in mies erneuerten Bild der Frau, die er geliebt hatte, wieder gehen. Die Bullen würden in Port-Nicolas aufkreuzen, er würde in dieser prunkvollen Eingangshalle, wo es nichts Schönes zu sehen gab, nicht die ganze Nacht verbringen. Hallo und auf Wiedersehen, mehr nicht, er hatte anderes zu tun.
    Zehn Minuten vergingen, dann kam die Sekretärin wieder zurück. Madame Darnas könne ihn nicht empfangen und bitte ihn, sie zu entschuldigen, er möge ein andermal wiederkommen. Louis spürte, wie die guten Sitten zu Staub zerfielen. Er stand zu abrupt auf, hätte beinahe das Gleichgewicht auf diesem Drecksbein verloren und bewegte sich auf die Tür zu, deren Schild »Privat« ihn seit geraumer Zeit verdroß. Die Sekretärin lief zu ihrem Schreibtisch, um zu läuten, und Louis betrat die verbotenen Gemächer. Auf der Schwelle eines weitläufigen Raumes, in dem die Darnas gerade ihr Frühstück beendeten, blieb er stehen.
    Sie hoben beide den Kopf, dann senkte Pauline ihn sofort wieder. Man kann nicht darauf hoffen, daß eine Frau mit siebenunddreißig Jahren komplett häßlich geworden ist, und Pauline war es auch nicht geworden. Sie trug ihr dunkles Haar jetzt kurz, das war der einzige Unterschied, den zu bemerken Louis die Zeit hatte. Darnas war aufgestanden, und Louis fand ihn ebenso häßlich, wie er nach der gestrigen Begegnung beim Mittagessen gehofft hatte. Er war klein, fett, nicht ganz so fett wie auf dem Foto, hatte sehr blasse, fast grüne Haut, eine kurze Stirn, unförmige Wangen und ein ebensolches Kinn, eine kurze Nase, gewaltige Augenbrauen über recht lebendigen braunen Augen. Die Augen waren alles, was an Lebendigem zu bemerken war, und selbst das galt nicht uneingeschränkt, denn sie standen eng beieinander. Darnas hielt sich ebenfalls damit auf, den Mann zu mustern, der gerade bei ihm eingetreten war.
    »Ich vermute«, sagte er, »Sie haben hervorragende Gründe, sich über die Anweisungen meiner Sekretärin hinwegzusetzen?«
    »Ich habe Gründe. Aber ich bezweifle, daß sie hervorragend sind.«
    »Nun schön«, sagte der kleine Mann und bot ihm einen Stuhl an. »Monsieur …?«
    »Louis Kehlweiler, ein alter Freund von Pauline.«
    »Nun schön«, wiederholte er und setzte sich ebenfalls. »Trinken Sie einen Kaffee?«
    »Gern.«
    »Nun schön.«
    Darnas lehnte sich bequem in seinen breiten Sessel und beobachtete Louis, während er sich offenbar sehr amüsierte.
    »Da wir den gleichen Geschmack haben«, sagte er, »übergehen wir doch die Präliminarien und kommen direkt zum Zweck Ihres Eindringens, was halten Sie davon?«
    Offen gestanden hatte Louis damit nicht gerechnet. Er war es gewohnt, daß eher er die Diskussionen führte, und Darnas verschaffte sich einen deutlichen Vorteil. Das mißfiel ihm nicht.
    »Das ist einfach«, sagte Louis und hob den Blick zu Pauline, die sich noch immer auf ihren Stuhl drückte und seinem Blick jetzt standhielt. »Als Freund Ihrer Frau, als ehemaliger Geliebter, wie ich in aller Bescheidenheit präzisiere, und zwar als nach acht Jahren hinauskomplimentierter Geliebter, darauf verweise ich mit vollständig zurückgehaltenem Zorn, und in dem Wissen, daß sie hier lebt, wollte ich sehen, was aus ihr geworden ist, wie ihr Mann aussieht und warum und für wen sie mich zwei Jahre lang mit meinem Kummer allein gelassen hat, nun, alles banale Fragen, die sich jeder stellen würde.«
    Pauline stand auf und verließ den Raum, ohne ein Wort zu sagen. Darnas machte eine kleine Bewegung mit seinen dicken Augenbrauen.
    »Natürlich kann ich Ihnen sehr gut folgen«, sagte Darnas und schenkte Louis eine zweite Tasse Kaffee ein. »Und ich verstehe, daß Paulines Weigerung Sie gekränkt hat, das ist legitim. Sie werden diese Fragen beide ruhigen Kopfes erörtern, ohne mich werden Sie sich wohler fühlen. Entschuldigen Sie sie bitte, Ihr Besuch hat sie vermutlich überrascht, Sie kennen sie ja, eine sehr lebhafte Natur. Meiner Meinung nach liegt ihr vielleicht gar nicht soviel daran, mich ihren früheren Freunden zu zeigen.«
    Darnas hatte eine sehr sanfte, zarte Stimme und schien auf ebenso natürliche Weise ruhig zu sein wie Louis, ohne Manieriertheit, ohne Anstrengung. Von Zeit zu Zeit schüttelte

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