Das Paradies
mit ihm auch ein Witz bezüglich diverser Haushaltsgeräte verbindet. Und was eine Grilletta ist, habe ich auch schon wieder vergessen. Es würde sich also lohnen, |62| mit mir ein DDR-Quiz zu spielen. Ich habe keine Ahnung. Aber ich hätte gern ein paar Antworten:
Warum ist man in die Partei eingetreten? Ist einem die Unterschrift heute peinlich? War die DDR ein Unrechtsstaat oder nicht? Wie hat das den Alltag beeinflusst? Was hat das für den Alltag bedeutet? Galt die Stasi als gefährlich, oder waren das für euch eher, banal gesagt, Pappnasen? Inwiefern gab es einen stärkeren Zusammenhalt unter den Menschen? Was ist für euch der größte Unterschied nach dem Mauerfall gewesen? Was ist die radikalste Veränderung für euch? Was hat euch Freiheit bedeutet? Und deren Einschränkung? In Westdeutschland gab es verschiedene Perioden: die Zeit der RAF, die Kohl-Ära. Gab es bestimmte Phasen auch in der DDR?
Ich gehöre zu einer Generation, die in den Achtzigerjahren geboren wurde und 1989 zu jung war, die neuen Freiheiten zu nutzen, um sofort das Land zu verlassen, um in Paris oder Bologna oder irgendwo anders zu studieren oder zu arbeiten. Der Fall der Mauer war für uns schon Teil einer unbekannten Vergangenheit. Eine Erinnerung von anderen. Die DDR ist eine Erinnerung von anderen und so weit ich zurückdenken kann, haben uns Eltern und Lehrer und auch der Mann von der Fahrschule und sogar der Bäcker, alle haben von dieser DDR gesprochen, von einer besseren DDR, von einer, wie sie hätte sein können, wie sie aber bestimmt nicht war. Aber weil im Fernsehen keiner behauptet, die DDR sei ein besseres Land gewesen, misstrauen wir sogar diesen, unseren Eltern.
Und trotzdem werden wir, wo es geht, zur DDR befragt. Während wir hier die Fremden und Unwissenden sind, werden wir erst zu Ostdeutschen, sobald wir Ostdeutschland verlassen. David zum Beispiel. David ist 1985 geboren. Er |63| hat seine Freundin vor zwei Jahren geheiratet. Sie haben sich beim Standesamt angemeldet. Er hat an einem Samstagmorgen einen Strauß Rosen gekauft, und dann haben sie sich trauen lassen. Ein paar Tage später muss sich seine Schwiegermutter einen Cognac genehmigen, als sie davon erfährt.
Jedenfalls: David unterbricht sein Politikstudium, um in Köln ein Praktikum einzuschieben. Dort erzählt er, dass er verheiratet ist. Sein Chef: »Das hat man so gemacht in der DDR, nicht wahr?« Es kommt vor, dass wir in Diskussionen noch angesprochen werden mit: »Ihr Ostdeutschen denkt immer …« Das ist das letzte Schweigeargument, Kalter-Krieg-Rhetorik. Irgendwie niedlich, aber doch auch extrem langweilig.
Es hat aber nichts mit der DDR zu tun. Im Gegenteil. Ich war eigentlich noch nie auf einer Hochzeit. Wer heiratet denn noch? Und David hat von der DDR genauso viel gesehen wie ich: nämlich nichts. Wann immer wir einen Rat bekommen, lautet dieser: Heirate reich, aber bloß nicht jetzt. Wir werden als Generation behandelt, die einerseits nichts weiß und andererseits immer mit etwas in Verbindung gebracht wird, das es seit 20 Jahren nicht mehr gibt. 20 Jahre!
Vor kurzem saß ich im Zug neben einem Mann aus dem Iran. Er fragte mich, woher ich käme. Ich sagte: »Aus Weimar.« Er: »Dann bist du aus der DDR!« Ich fand das sehr witzig, dass auf der ganzen Welt die DDR noch existiert in den Köpfen, nur in Ostdeutschland, da gibt es die DDR nicht mehr.
Ich teile mit vielen jungen Ostdeutschen, die heute zwischen 24 und 29 Jahre alt sind, die Erziehung durch melancholische, ja depressive, eingeknickte, krumme, enttäuschte, beschämte, schweigende Eltern und Lehrer. Die Hälfte des |64| Personals in unserem Leben musste ständig in Kuren oder in psychologische Betreuung. Unsere Klassenlehrerin Frau Ostermann zum Beispiel. Ich weiß, wie sie Christa Wolf vor der Tafel verteidigte, wie sie auf die Frage, ob sie den Film
Good bye, Lenin!
schon gesehen habe, ausdruckslos erwiderte: »Ich weiß noch nicht genau, ob ich den Film sehen möchte.« Es klangen da so viel Unsicherheit und Angst mit, dass keiner mehr nachfragen wollte, weshalb sie sich den Film nicht anschauen wolle. Sie ging dann für einige Wochen in die Tagesklinik der Psychiatrie in Weimar. Die ist Teil eines ziemlich neuen, Ende der Neunzigerjahre gebauten Krankenhauses. Ein riesiger Klops aus grauer Wand. Die Psychiatrie erkennt man an den gelben Wänden. Nur hier sind sie gelb gestrichen. Die Ärzte sagen, dass Gelb beruhigend auf die Menschen wirkt. Ihr Mann hatte die Familie
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