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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hünniger
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auf keiner Demo verlangt, nie hinter der Hand derlei gefordert. Nein. Im Gegenteil. Von ihm aus könne das gern wieder rückgängig gemacht werden.
    Die Wahlleiterin verzog ihren Mund zu einem sanften Lächeln und sagte: »Das macht nichts, ich hab schon gesehen, dass hier sowieso alle CDU wählen.« Da müsse er nicht auch noch ein Kreuz machen. Die Leute hatten ihr den Zettel in die Hand gedrückt, statt ihn in die Urne zu werfen. Mein Vater ging nie wieder wählen und verweigert bis heute jede Teilnahme am öffentlichen Leben.
    Vor kurzem habe ich ihn besucht. Er schaute sich gerade eine Dokumentation an. Sie hieß
Heiraten in der DDR.
Er schaltete nach einigen Minuten den Fernseher aus und bemerkte, dass er zwar ständig eine DDR im Fernsehen sehe, aber bei ihm eigentlich alles ganz anders gewesen sei. Und dass jetzt neuerdings das Heiraten schon so interessant sei. Und wann man eine Dokumentation über den Stuhlgang von Ostdeutschen machen werde. Er sagte auch, dass er sich schon wie ein exotisches Tier im Zoo fühle. Ich wartete versessen auf ein paar Informationen über das exotische Wesen vor mir, aber da musste plötzlich etwas im Garten erledigt werden (im November!).
    Ich fragte meine Mutter: »Was habt ihr denn früher so gemacht, in der DDR?«
    »Du solltest dir mal deinen Pullover anschauen. Da kann jeder sehen, was es zum Mittagessen gab.«
    |68| »Mama, es wäre nett, wenn wir hier nicht über meine schmutzige Wäsche sprechen würden. Das ist peinlich.«
    »Ach so, dir ist es peinlich, aber ich im Arbeitsamt und Papa hinterm Aquarium, das so aufzuschreiben und herumzuerzählen, das ist nicht peinlich, das ist nicht privat?«
    »Möglich.«
    »Es ist so. – Wo wir gerade dabei sind, du hast ja mal den Spaten durch den Garten gefeuert wie einen Speer, und dann war er verbogen, und den mussten wir wegschmeißen, und das hast du nicht einmal zugegeben.«
    »Ich war es nicht.«
    »Natürlich bist du es gewesen, wer denn sonst? Der Maulwurf kriegt das noch nicht hin.«
    »Okay, ja, na und, nur ein Spaten.«
    »Du hast die Zahnbürste gegen die Ofentür gepresst, damit sie schmilzt und du eine neue bekommst.«
    »Ich finde, es reicht!«
    »Du bist mit sechs Jahren runter zum Kiosk marschiert, allein, und Birgit kommt allein nach Hause und sagt, du willst jetzt Schokolade kaufen. Ohne Geld?«
    »Diese Verräterin.«
    »Weißt du eigentlich, was für kranke Träume du hattest und wie du ein Jahr lang einfach nichts gesagt hast? Da wirst du als Mutter meschugge. Mit dir hatte man es nicht leicht.«
    »Aha.«
    »Und immer ganz oben auf dem Ross.«
     
    Die Vergangenheit ist kein fremdes, exotisches Land. Sie ist wie eine verscharrte Leiche, die nur als Zombie in Form von Talkshows oder Quizshows zu uns zurückkehrt und die wir nicht verstehen. Die Geschichten in – sicher sehr |69| gut recherchierten – Fernsehdokumentationen decken sich nicht mit dem, was wir in den Gesichtern unserer Eltern sehen, aber nicht entschlüsseln können. Wir vermuten nur. Wir wissen nicht, wer unsere Eltern sind, wir wissen nicht, aus welchem Land sie kommen, wir wissen manchmal nicht, was wir ihnen zum Geburtstag schenken sollen. Denn das teure Zeug lehnen sie natürlich ab. Sie kaufen günstig in günstigen Supermärkten, meist Familienpackungen mit 20 Prozent mehr Inhalt oder 20 Prozent Rabatt auf den Preis. Wenn wir über unser Studium reden, erklären wir ihnen das Studiensystem. Dann schütteln sie den Kopf, als lebten wir auf einem sehr bunten, fernen Planeten. Das kann natürlich sein.
    Ich habe eine letzte, aber sehr lebhafte Erinnerung: als meine Familie viel später den ersten und einzigen richtigen Auslandsurlaub unternahm. Aber davon später.
     
    Ich spüre oft eine übriggebliebene Weltfremdheit, eine Unsicherheit, einen Unwillen am Improvisieren, Angst vor dem Fremden, die völlige Unkenntnis der Regeln der Kommunikation, die vollkommene Verzweiflung an der Umwelt. Es ist geradezu befremdlich, wenn man sich seine ostdeutschen Eltern anschaut. Und dann empfindet man doch immer Mitleid. Weil wir uns selbst als Kinder des Kapitalismus schuldig fühlen und glauben, ihnen wurde etwas genommen und dass sie wahrscheinlich an einem Trauma leiden. Vermutlich ist das der Grund, weshalb viele junge Ostdeutsche die DDR verteidigen. Gehen Sie bitte einmal nach Halle, Leipzig, Eisenach, Brandenburg. Vielleicht nicht gerade in das bürgerliche Milieu, fragen Sie nicht den Zahnarzt oder den Rechtsanwalt, halten Sie sich an den

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